Humorkritik | Dezember 2017

Dezember 2017

Wer Böses gibt für Gutes aus,
Dem kommt das Böse
nicht aus dem Haus;
Wer lacht, damit ein andrer weint,
Den trifft das gleiche, eh ers meint.
Sebastian Brant

Strauß kontra Spaß

Hier spricht einer, der es ernst meint. Mit allem. »Stellung beziehen«, »begreifen, wo man steht und mit wem man den Standort teilt«, einen »Moment der Stärke und Entschiedenheit« am »eigenen Leib erfahren« – all das fordert ein junger Mann namens Simon Strauß, Botho-Sohn und Theaterredakteur in der FAZ. Ebendort wollte er schon die Gruppe 47 neu gründen und verteidigte Ernst Jünger trotzig gegen die Sympathiebekundung des netten Buchhändleronkels Martin Schulz; und wie Jünger will er auch in seinem ersten Buch »Sieben Nächte« klingen: »Wer von Wut spricht, gerät unter Verdacht, wird zum Antidemokraten gestempelt«. Geschwungen werde dieser Stempel von achselzuckenden und ironisch-verschachtelten Humoristen: »Aber eine Gesellschaft, in der sich niemand mehr zum Ganzen bekennt, ist auf Dauer nicht überlebensfähig. Die liefert sich den Spaltungsversuchen der Ideologen und Ironiker aus.« Fast ist es zu spät: »Zu viel Gelände ist verloren gegangen an den Zynismus, der seine kalten Finger um alles legt. Er feiert Siege an allen Ecken und Enden und tupft uns Zurückgefallenen hämisch Nivea-Creme auf die entzündeten Wangen«.

Fraglich, ob einer den Sieg über die Spaßmacher je davontragen kann, dessen Sucht nach Ernst, Eigentlichkeit und Radikalität inklusive inbrünstiger Beschwörung von Benn, George und Mommsen stets irgendwo zwischen Schreibschulprosa und »Focus«-Kommentar landet – und der aber, allen Wunden trotzend, die ihm zynische Nivea-Creme-Tupfer zugefügt haben, unbedingt witzig sein will. Hassen kann Strauß nämlich wie ein müder Comedian: »Tai Chi, Fischgrätenparkett und ein ›Zeit‹-Abo« zum Beispiel, »Klappradfahrer, Langbartträger, Mopsbesitzer«, »Weichspüler und Dalai-Lama-Nachmacher«. Tut das nicht weh? Schon, aber: »Kein Schmerz zu heftig, als daß er mir nicht doch irgendwie zum Schlüssel würde.« Nur, wohin mit dem Schlüssel? Die Hand nämlich ist »verkrampft um die Bierflasche. Jedes Deutschen Glückes Unterpfand.« Denn: »Mit einem Glas Wein kann man eben nicht so gut in den Feierabend rennen, es schwappt über und der Traubensaft rinnt die Finger runter wie warme Sonnenmilch«, das tun schmierige Flüssigkeiten nämlich gerne: »Deine Kraft ist ausgelaufen wie Öl aus einem rostigen Blechkanister.« Hauptsache, man rutscht darauf nicht aus: »Die Bibliothek, das ist ein Ort der Vielstimmigkeit. Im Schein des grünen Lampenschirms reist man hier sicherer als auf jedem glitschigen Surfbrett. Die Bibliothek als Abflughalle. Die Bücher als Flugzeuge mit heruntergelassener Gangway.« Eine Bildschärfe hat er wie ein Poetry-Slammer, dieser Strauß, und Sinn für historische Vergleiche sowieso: »So in etwa muß das im altrömischen Zirkus geklungen haben, wenn unten die todgeweihten Gladiatoren um den erhobenen Daumen bettelten. Likes, die über Leben entscheiden.« Schier unaufhaltsam fühlt er sich in alles ein, sogar in unbelebte Materie: »Oben über dem alten Backsteingebäude weht die Deutschlandfahne im Wind und fragt sich, wofür.«

Von der Kritik bekommt Strauß dafür viele Likes und erhobene Daumen. Generationenbuchnudel Florian Illies ist begeistert, Lobnudel Volker Weidermann nennt ihn »emphatisch jung« wie etwa »Rainald Goetz« (und nicht wie »Die Lochis« oder Moderatoren bei Kika, die mir da eingefallen wären); bei Aspekte schließlich darf Strauß, der »sehr schön diese gewisse Leere beschreibt, die sich in seiner Generation breitmacht«, in die Kamera sagen: »Wir beschäftigen uns eben enorm viel mit uns selbst.« Und gleich noch einmal: »Was wir brauchen, sind wieder mehr Ausrufezeichen – sonst reden wir am Ende nur noch mit uns selbst.«

Ich hingegen plädiere, was Literatur betrifft, vorsichtig für mehr Fragezeichen. Und, wenn es um Streiter wider Ironie und Zynismus geht: für etwas ausgeschlafenere Gegner. Sonst fällt es mir gar zu leicht, über sie zu lachen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt