Humorkritik | April 2019
April 2019
Oft ist eine wortlose Stunde die bezauberndste von allen;
brillanter Witz kann unbeschreiblich anödend sein.
Virginia Woolf, »Orlando«

Die stumme Jelinek
In einem steirischen Bergdorf ersticken Einheimische wie Urlauber ihre angestauten Schuldgefühle unter einem Haufen Heimat- und Alpenkitsch. Darunter auch Karin und ihre Mutter – zumindest so lange, bis sie in einen Frontalunfall mit einem Reisebus verwickelt werden. Karin wandelt fortan zwischen Dies- und Jenseits. Dabei entdeckt sie in einem alten KZ ein Kino, in dem längst Verstorbene durch die Projektion alter Home-Videos am Leben gehalten werden; Hinterbliebene können hier kollektiv ihre Liebsten betrauern, Nazis und Juden, Täter wie Opfer. Die Leinwand als Portal zwischen den Welten, das Kino als Erinnerungsmaschine – Motive, die jeden Medienwissenschaftler zusammenzucken lassen, bis schließlich die Leinwand zerreißt und die toten Kinohelden als Zombies in das Alpenidyll einfallen, um zu tun, was sie allzusehr vermissen: Tanzen, Bumsen, Blasmusizieren und sich Palatschinken in die Gesichter kleben, gemeinsam und in friedvoller Harmonie.
Ziemlich unbeschwert ist er, der Stummfilm »Die Kinder der Toten«, den das Regie-Pärchen Kelly Copper und Pavol Liska nach der Vorlage des gleichnamigen Jelinek-Romans in diesem Jahr auf der Berlinale uraufführte. Anstatt aber auf den bizarren Plot zu vertrauen, vermasselt es die Regie in der Ausführung: Die Textfolien übertreffen einander an erzwungener Ironie und Albernheiten derart, dass sie schon früh nerven, und auch der zunehmende Slapstick (Lebende und Untote liefern sich zur Klimax eine ausgiebige Forellen-Schlacht) sorgt dafür, dass ich den Stoff doch lieber als Kurzfilm gesehen hätte.
Wirklich witzig dagegen ist die Entstehungsgeschichte: Weil die Regieverantwortlichen kein Deutsch sprechen und der Roman bislang nicht als Übersetzung vorliegt, haben sie Elfriede Jelineks Buch nie gelesen. Zur Lösung des Problems nutzen sie Oral-History-Erzählungen, eine Methode, die sie bereits häufiger bei Arbeiten ihres Off-Kollektivs »Nature Theater of Oklahoma« angewandt haben: Anstatt den Primärtext zu studieren, lässt man ihn sich von anderen Leuten aus der Erinnerung nacherzählen. Im Prinzip also wie diese Humorkritik – bloß dass die, anders als der Film, bisher nicht mit dem internationalen FIPRESCI-Preis ausgezeichnet wurde.