Humorkritik | September 2018

September 2018

Tragisches ist ja deshalb herzzerreißend, weil uns die Komik genommen wird. Das Lachen wird uns aus dem Mund herausgestohlen.
Simon Stone

Gutes vom Nachbarn

Kaum habe ich schändlicherweise mehr als fünfeinhalb Jahre das Treiben der Kolleginnen und Kollegen von »Hydra« außer Acht gelassen (vgl. TITANIC 2/13), da schickt mir das österreichische Satirekollektiv drei seiner frischesten Publikationen zu. Die ich mir vor dem Hintergrund gewisser politischer Entwicklungen in felix Austria natürlich mit doppelter Neugier zu Gemüte führe.

Höchste Relevanz versprechen tatsächlich gleich zwei der Bücherl, nämlich die Ratgeberparodie von 2016, »How to be Österreich. Der Werteguide für Integrationswillige«, und »Verschwört euch! How to Fake News« von 2018, beide erschienen im Milena-Verlag. Ersteres preist sich als »Kompakt. Witzig. Sebastian Kurz« an und richtet sich laut Vorwort auch an Piefkes – denen viele der behandelten Themen erschreckend vertraut vorkommen dürften. Um »Respekt« geht es ebenso wie um »Patriotismus«, »Anstand«, »Sauberkeit« sowie allerlei heimatbezogene Buzzwords mehr, von »Alkohol« bis »Zivilcourage«. Aber auch genuin Österreichisches wird verhandelt, darunter die berüchtigte Titelgeilheit (»Titel werden stolz vor sich hergetragen, auf Türschilder graviert und auf wichtige Ausweisdokumente gedruckt [z.B. Billa-Vorteilscard]«), der Walzer (»eine der wenigen Gelegenheiten für Frauen in Österreich, die Führungsrolle zu übernehmen«) und Schlagobers (»In jedem guten Haushalt findet sich eine Sprühdose in der Küchenkredenz – so wie beim Texaner die Glock«). Wissens- und Persönlichkeitstests runden das hilfreiche Glossar ab.

Noch unterhaltsamer, weil mit mehr Mut zum Wahnsinn ausgestattet, fand ich den genannten Fake-News-Leitfaden. Den größten Teil nimmt hier eine Übersicht mehr oder weniger bekannter Verschwörungstheorien ein: geheime Barcode-Botschaften, Impfskandale, die »Unfälle« Jörg Haiders und Niki Laudas, Analogkäse, Google-Chemtrails, die Stift-Umtriebe des »Faber-Kartells« und das Mysterium der immer noch sonder Zahl herumstehenden Telefonzellen im Lande. Und mit der Enthüllung »St. Pölten – die vorgetäuschte Stadt« bekommt die abgedroschene Bielefeld-Verschwörung ein würdiges und glaubhaft fundiertes Pendant. Am Ende dürfen sich die Theorien in einem »Conspiracy Death Match« in Disziplinen wie Schlüssig- und Verwerflichkeit miteinander messen. Abwechslungsreich in Form und Gestaltung (zwischendrin wird gar gedichtet), empfiehlt sich »Verschwört euch!« als klassische Klolektüre im Weltuntergangsbunker.

Das dritte Werk im Bunde ist der schon etwas ältere Reiseführer »Wien wie es wirklich scheint« (Holzbaum), dessen damalige Veröffentlichung von einem hübschen medialen Empörungsgewitter begleitet wurde, denn das »Terror-Buch« (Focus.de) enthält neben Kapiteln wie »Wien für Betroffene«, »Das lesböse Wien« und »Auf den Spuren des Austropop« eine Tour unter dem Motto »Wien für Terroristen«, in welcher u.a. Zerstörungstips für das Allgemeine Krankenhaus (»wenn Sie eine möglichst hohe Opferzahl erreichen wollen«) oder die Schmalspurbahn im Prater (»Anschlag zur Zeit der Kastanienblüte durchführen, das gibt eine Staubwolke, die 9/11 in den Schatten stellt«) versammelt sind, und darüber können »Kronen-Zeitung«-Leser und FPÖ-Politiker gar nicht lachen. Ich aber schon, zumal mir die kompakte »Polyglott«-Parodie (»Prologott«) bei aller Neckischkeit auch Lehrreiches an die Hand gibt, etwa welche Droge man unbedingt im »Flex« ordern sollte, wo’s die bestgepflegte Minigolfanlage hat oder was man wissen muss, um für den intellektuellen Diskurs über Josefine Mutzenbacher gerüstet zu sein.

Die Frage, ob angespannte Zeiten die Kreativität von Satireschaffenden befeuern, habe ich hier schon mehrmals gestreift. Generalisieren mag ich nicht, aber im Falle der jungen Hydriker aus der Kurz-Republik kann ich reinsten Gewissens sagen: Ja, doch, eh.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner