Humorkritik | September 2018

September 2018

Tragisches ist ja deshalb herzzerreißend, weil uns die Komik genommen wird. Das Lachen wird uns aus dem Mund herausgestohlen.
Simon Stone

Alte Besen kehren gut

Der einst als Ali G. und Borat erfolgreiche und umstrittene Sacha Baron Cohen hat nach Jahren der Abstinenz vom aggressiven öffentlichen Veralbern von Prominenten und anderen Geltungsfreudigen eine neue Show: »Who is America?« (in Deutschland bei Sky zu sehen). Auch sie ist im englischsprachigen Raum erfolgreich und umstritten, so sehr, dass u.a. ein Politiker aus Georgia seinen Rücktritt eingereicht hat, nachdem er in einem vermeintlichen Antiterrortraining das »N-Word« gebrüllt und mit nacktem Hintern imaginäre IS-Terroristen schwul zu machen versucht hatte. Man erahnt: Wieder operiert Cohen mit heftig geschminkten und verkleideten Figuren, z.B. einem »self-hating white male«, einem italienischen Modezaren, einem infantilen Youtuber – und, besonders erfolgreich: dem israelischen Terrorbekämpfungsspezialisten Erran Morad, der jahrelang beim Mossad, Entschuldigung: nicht beim Mossad war und alle Projektionen amerikanischer Rechter auf Israel so gut abbildet, dass selbst der Ex-Vizepräsident Dick Cheney ihm eine »waterboard bottle« signiert.

Die Show erfährt viel Kritik, auch aus liberalen amerikanischen Medien (der »New Yorker« etwa verriss sie ausführlich): Cohen produziere letztlich fake news, spalte ein ohnehin gespaltenes Land weiter, betreibe eine Art linksextreme Spaßguerilla, greife dabei zu unlauteren Methoden und wolle nur für ein paar Lacher Leute vorführen.

Für mich sind die ethischen und politischen Fragen zu Cohens Methode nachrangig, denn zum einen fallen nicht alle auf sie herein – zumeist sind es eben die oberflächlichen Prominenten und die regelrecht dämlichen rechten Politiker und Aktivisten, während etwa Bernie Sanders sich gut aus der Affäre zieht –, zum anderen bin ich primär Komikkritiker. Und als solcher bin ich erstaunt, dass Cohens nun wirklich nicht mehr neues Spiel in all seiner Brachialität und Schamlosigkeit nicht nur recht unverstaubt wirkt, sondern sogar wirkungsvoller geworden ist. Noch immer spielen fäkale und sexuelle Anspielungen die Hauptrolle seiner Scherze (»How about a Dick pic, Mr. Cheney?«, »Did your wife ever want to see more Dick?«), aber gerade das macht die ernsthaften Reaktionen der Reingelegten noch erstaunlicher. Wie so oft bei Cohen weiß ich nicht, ob ich über eine Pointe oder aus Schock lache. Und ich kann nicht sagen, warum ich »Who is America?« weniger erheiternd als etwa »Borat« finde: weil ich die Stoßrichtung der Pointen mittlerweile zu gut kenne oder weil die Zustände, die sie offenbaren, schrecklicher geworden sind? Zumindest kann ich sagen: Sacha Baron Cohen zeigt ein multipel gestörtes Persönlichkeitsbild der USA, bei dem Präsident Trump nur noch als eines von vielen Symptomen erscheint, was mich mehr erschreckt als dessen Auftritte. Das muss man ja auch erst mal hinbekommen und geht tiefer als die meiste Juxerei im und zum Trump-Land.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

 Grüß Gott, Söder!

Grüß Gott, Söder!

Wie schlossen Sie Ihr Statement vor dem israelischen Generalkonsulat in München, wenige Stunden, nachdem ein 18jähriger mit einem Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett auf dieses geschossen hatte und daraufhin von der Polizei erschossen worden war? Sie sagten: »Nochmals vielen Dank an alle Beteiligten!« Der Hauptbeteiligte, das war freilich der Attentäter – Ihre Danksagung lässt also tief blicken! Denn was täten Sie ohne durchgeknallte Islamisten mit anachronistischer Bewaffnung, die vom Rückstoß eines historischen Repetiergewehrs beinahe umgeworfen werden und von Ihrer Polizei spielend leicht umgenietet werden können?

Aber Obacht! Nicht dass Sie sich beim nächsten Mal zu noch offenherzigeren Reaktionen hinreißen lassen und zum Abschluss »So ein Tag, so wunderschön wie heute« anstimmen. Könnte möglicherweise missverstanden werden!

Meint Titanic

 Puh, Lars Klingbeil!

Gerade wollten wir den Arbeitstag für beendet erklären und auch die SPD mal in Ruhe vor sich hin sterben lassen, da quengeln Sie uns auf web.de entgegen, dass es »kein Recht auf Faulheit gibt«. Das sehen wir auch so, Klingbeil! Und halten deshalb jeden Tag, an dem wir uns nicht über Ihren Populismus lustig machen, für einen verschwendeten.

Die Mühe macht sich liebend gern: Titanic

 Philipp Bovermann (»SZ«)!

Früher hatten Sie Angst vor der Klimakatastrophe. Heute sind Sie Mitte dreißig und haben dazugelernt: »Ich kann heute nur noch darüber staunen, wie wenig tief mich die Tatsache bekümmert, dass der Planet überhitzt, dass Arten verschwinden, Ökosysteme kollabieren, Regenwälder brennen, Meeresböden sich in Wüsten verwandeln. Menschen werden sterben, Menschen sterben schon heute, das Leid der Tiere sprengt alle Vorstellungskraft – aber jetzt stehe ich auf meinem Balkon, habe mir ein Leben aufgebaut, mit einem tollen Job, einer tollen Frau, einer tollen Tochter, unten auf dem Teich schwimmt eine Entenfamilie vorbei, und geblieben ist nur die sanfte Sorge, dass ich mir zu wenig Sorgen mache. Ich grusele mich vor mir selbst. Aber nur ein winziges bisschen.« Denn »vielleicht ist es rational, wegen des Klimawandels ruhig zu bleiben und sich auf das Leid im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Welt wird schon nicht gleich untergehen.«

Nein, Kollege Bovermann, wird sie nicht, jedenfalls Ihre nicht. An den Menschen in Südostasien oder Osteuropa, betroffen von einem exemplarischen Regen aus der neuen Klimagegenwart, schwimmen derweil keine Entenfamilien, sondern ihre toten Töchter vorbei, während Sie sich so arg auf das Leid im Hier und Jetzt konzentrieren, dass es alle Vorstellungskraft sprengt.

Vorm ewigen Jungspießer gruselt’s da ein bisschen: Titanic

 Wie Ihr Euch als Gäste verhaltet, liebe »Zeit online«-Redaktion,

ist uns wirklich schleierhaft. Immerhin empfehlt Ihr allen guten Besucher/innen, beim Verlassen des Gästezimmers »mehr als eine Unterhose« anzuziehen. Da drängen sich uns einige Fragen auf: Ist Euch im Höschen öfters kalt? Ist das wieder so ein Modetrend, den wir verpasst haben? Gibt es bei Eurem Gastgeber keine Toilette und Ihr müsst vorbeugen?

Und wie trägt man überhaupt mehr als eine Unterhose? Muss man sich Buxen in aufsteigenden Größen kaufen oder reicht ein erhöhter Elastan-Anteil? Wie viele Schlüpferlagen empfiehlt der Knigge?

Denkbar wäre etwa, bei engen Freund/innen zu zwei, bei Geschäftskolleg/innen jedoch zu mindestens fünf Slips zu greifen. Aber wie sieht es aus bei der nahen, aber unliebsamen Verwandtschaft?

Trägt zur Sicherheit immer mindestens drei Stringtangas: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Schrödingers Ruhebereich

Wenn es im Abteil so still ist, dass ein Fahrgast einschläft und dann übertrieben laut schnarcht.

Loreen Bauer

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
11.10.2024 Coesfeld, Stadtbücherei Gerhard Henschel
12.10.2024 Bad Lauchstädt, Goethe Theater Max Goldt
12.10.2024 Freiburg, Vorderhaus Thomas Gsella
12.10.2024 Magdeburg, Moritzhof Hauck & Bauer