Humorkritik | April 2018
April 2018
Lächerlichkeit tötet: Das ist ein Satz, der eine sehr finstere Bedeutung annehmen kann.
Hans Magnus Enzensberger

Drohnenblick
Nicht zum ersten Mal beschäftige ich mich an dieser Stelle mit dem Zivildienst. 2013 las ich mit einigem Vergnügen Christian Bartels »Zivildienstroman« (nach der Abschaffung des Dienstes als »Betreutes Wohnen« weitervermarktet; siehe TITANIC 05/2013). Damals war Elias Hirschl noch ein Teenager. In den fünf Jahren, die seither vergangen sind, hat dieser immer noch junge Wiener Autor bereits drei Romane veröffentlicht; »Hundert schwarze Nähmaschinen« (Jung und Jung) ist sein letzter – und reifster.
»Das Selbstmordzimmer ist frisch gestrichen.« Mit diesem schönen Satz beginnt Hirschl, markiert das schwarzkomische Grundklappern, das den Roman durchziehen wird, und läßt sich mit dem Leser aus dem Fenster fallen, beschreibt die Fassade des Hauses, kreist danach kühl wie eine Drohne durch die Flure und betrachtet alle Bewohnerinnen und Bewohner mit ihren Eigenarten und rätselhaften Schrulligkeiten. Der Ausgangspunkt – Zivildienstleistender trifft auf Wohngruppe psychisch Kranker – ist der gleiche wie damals bei Bartel. Doch bei Hirschl ist »der Zivi« (einen Namen erhält die Hauptfigur über 330 Seiten nicht) ein Schreibender, einer mit Notizheft, der sich die Geschichten hinter den Störungen seiner Patienten zusammenzureimen versucht und Linien zwischen Schicksalsschlägen und Erkrankungen herbeiphantasiert. Trotz gelegentlicher stilistischer Holperer verwischt Hirschl mit einigem Geschick die narrativen Ebenen und enthüllt sukzessive, daß das, was man für die Mitteilungen eines allwissenden Erzählers hält, bloß die Notizen eines Achtzehnjährigen sind, der sich selbst zu einer der Falldokumentationen macht, wie er sie täglich zu verfassen hat: »Frau B. hatte heute einen weniger guten Tag. (…) Am Nachmittag wurde sie kriselig, hat das WZ demoliert, sich in der Wäschekammer verschanzt, Waschmittel ausgeleert. Nackt auf dem Waschmittelberg begann sie dann, das Waschmittel zu essen. Verabreichung des Bedarfsmeds nicht möglich wegen eines Besenstiels. Haben die Rettung gerufen.«
Derlei Situationen sind komisch, ohne daß Hirschl seine Figuren dafür denunzieren würde; zumindest nie mehr, als er auch die vermeintlich »Normalen« denunziert, die Beschäftigten in der Wohngruppe und natürlich seinen Zivi selbst, der von Monat zu Monat mehr säuft, raucht und mit seiner Freundin streitet, zu der die Beziehung eh »nichts anderes als ein Abschied« ist, »nach dem man feststellt, daß man denselben Heimweg hat.«
All das ist hübsch morbid arrangiert, und es sind der Wienklischees beinah zu viel. Doch einem derart jungen Autor will ich das nachsehen. Und was wäre Wien schließlich ohne seine Klischees? Wohl einfach nur eine Stadt in Österreich mit zu vielen Nazis im Parlament.