Humorkritik | Mai 2013
Mai 2013

Fluidum der Durchgeknalltheit
Eigentlich, so dachte ich kürzlich beim Wiedersehen der berühmten »Cabaret«-Verfilmung mit Liza Minelli, bleibt diese Liebesgeschichte doch erschreckend simpel: Inkompatibilität zweier Charaktere, die archetypisch aufeinanderprallen und sich kaum entwickeln – nur daß das Drumherum, jene aufwendige Berlin-in-den-Dreißigern-Kulisse, alles in ein Fluidum gebildeter, anspruchsvoller Kunst taucht. Für einen Welterfolg reicht das.
Viel mehr Befriedigung verschaffte mir, in ähnlichen Proportionen, der »Zivildienstroman« von Christian Bartel (Carlsen-Verlag). Wobei der 1975 geborene Poetryslammer, Lesebühnenmann und Taz-»Wahrheit«-Autor vordergründig ein vermeintliches Modethema behandelt: Zivildienst mit durchgeknallten Schützlingen. Darüber habe ich häufig auch Comedians (Matthias Reuter z.B.) vortragen hören. Was schadet’s? Nix. Weil hier erfreulicherweise das Zentrum stärker besetzt ist als die Nebenrollen. Das »Behindertenbusineß« (Bartel) bleibt Kulisse; primär geht’s auch hier um Liebe, um zwei, drei ineinander verschränkte Liaisons nämlich. Als Herzstück aber fungiert der Erzähler höchstselbst, indem er dreierlei in sich vereinigt: Er formuliert erstens gut, ist zweitens glaubwürdig und drittens fast ein Weiser.
Belegstellen gefällig? »Wenn Günther ein bißchen Abwechslung will, setzt er seinen Walkman auf und hört Leerkassetten. Aber eigentlich ist Abwechslung unter seiner Würde.« Noch eine? »Ob man ins Heu gehen solle, frage ich, dort könne man gemeinsam ins Firmament schauen und dabei einige interessante Allergien anprobieren.« Gut, eine noch: »Wenn ich Rieke nicht liebte, würde ich sie nicht einmal mögen, glaube ich.«
In meinem Exemplar habe ich zahllose Sätze dieser Qualität angestrichen; und den vielen Slapstick-Einlagen der Handlung kann ich nur Anstandsbeifall klatschen. Gleichwohl habe ich auch hier sehr gern Bartels Tonfall gelauscht. Auf seinen nächsten Roman freue ich mich schon, selbst wenn der vom Paragliding auf Neuseeland handeln sollte. Oder gar von einer Jugend in der deutschen Provinz.