Humorkritik | Mai 2013

Mai 2013

Spott und Hehn

Gerne hätte ich der selbstironisch gemeinten ZDF-Sitcom »Lerchenberg« ein Zeugnis ausgestellt, das bei allen unübersehbaren Schwächen wenigstens eine Versetzung in die nächste Klasse ermöglichte. Denn eigentlich kann man ja gar nichts dagegen haben, daß das Zweite die Gunst der Stunde nutzt, in puncto TV-Humor dank »Heute-Show« auch mal die Nase vorn zu haben, und sich nun sogar der komischen Selbstbespiegelung widmet. Da geht es auch durchaus in Ordnung, einen abgehalfterten Schauspieler wie Sascha Hehn aus der Versenkung zu zerren und sich selbst spielen zu lassen. Daß und wie das geht, haben ja nun schon etliche Sitcoms vorgemacht, etwa die von der Presse zumeist eher ahnungslos zitierte US-Serie »30 Rock« (NBC, seit 2006), welche die Dynamik hinter den Kulissen einer wöchentlichen Sketchshow thematisiert, und »Episodes« (BBC/Showtime, seit 2011), in der zwei Drehbuchautoren für ihre Sitcom einen vollkommen fehlbesetzten Hauptdarsteller (Matt LeBlanc als er selbst) vom Sender aufs Auge gedrückt bekommen.

Da konnte der ZDF-»Lerchenberg« nicht annähernd mithalten. Schwamm drüber, daß Hehn offenbar ein noch schlechterer Schauspieler ist, als man ohnehin vermutet hatte – die Situationen, in welche ihn die bis zu vier (!) Autoren der einzelnen Folgen schicken, hätte indes nicht mal ein Christoph Waltz gerettet.

Die größte handwerkliche Schwäche der Sendung ist die unklare Motivation der beiden Hauptfiguren: Was will eigentlich die junge Redakteurin Billie? In der ersten Folge – Billie ist gerade mitten in einem Filmprojekt – wird ihr Hehn als Schauspieler aufgezwungen. Ihr vorrangiges Ziel scheint es, das zu verhindern und einen ordentlichen Film zu machen. Plötzlich ändert sie ihre Meinung und versucht, Hehn nun doch in ihren Film einzubauen. In allen weiteren Folgen strebt sie jedoch danach, Hehn in anderen, zum Teil ganz neuen TV-Shows unterzukriegen. Warum, bleibt unklar – ein Befehl von oben ersetzt schließlich kein persönliches Motiv. Ebenso diffus bleiben Hehns Beweggründe: Warum will er einerseits offenbar partout zurück ins Fernsehen, läßt aber andererseits keine Gelegenheit ungenutzt, sein Comeback zu sabotieren? Wer ist er überhaupt und wie tickt er? Dumm und schwierig zu sein, das alleine macht noch keinen Charakter.

Da zuletzt auch die Trennung von Backstory und Serienhandlung nicht genau genommen wird (findet Billies Filmprojekt nicht schon vor Beginn der Serienhandlung statt?), gerät der Handlungseinstieg unnötig kompliziert. Womöglich liegt da der Hase im Pfeffer, denn augenscheinlich hat das ZDF nur vier Folgen »Lerchenberg« bestellt – für eine fiktionale Serie ein schwieriges Format. Bei drei Folgen hätte man leicht einen einzelnen Handlungsbogen verfolgen können (wie etwa bei »Episodes«), während bei einer länger laufenden Serie die Exposition durch eine Pilotfolge geklärt werden kann – und die einzelnen Episoden hernach auch in anderer Reihenfolge funktionieren (»30 Rock«).

Offenbar wollte man aber hier einen Mittelweg gehen. Herausgekommen ist ein kalter Kessel Buntes. »Lerchenberg« fehlen die Struktur, die Konflikte (»Komm, das kriegen wir schon hin!«), infolgedessen auch die Witze und nicht zuletzt die Authentizität. Denn daß jemals ein Fernsehmensch zum anderen über eine neue Kochshow gesagt hätte: »Wenn du willst, können wir mit einem Weihnachtsspecial anfangen. Das ist ganz großes Fernsehen!« – das glaube ich nämlich keine Sekunde.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Standhaft, brandenburgischer CDU-Landesvorsitzender Jan Redmann!

Sie wurden mit 1,3 Promille Atemalkohol auf einem E-Scooter erwischt und entsprechend zu einer Strafe verdonnert. Daraufhin gaben Sie zu Protokoll, zu »diesem Fehler zu stehen« und die »Konsequenzen, insbesondere die Strafe« zu tragen. Das ist ja geradezu heldenhaft. Wir waren davon ausgegangen, dass Sie den Inhalt des Polizeiberichts leugnen, den Staat um die Strafzahlung prellen und sich ins Ausland absetzen würden.

Hätte dann vielleicht sogar Sympathie für Sie entwickelt: Titanic

 Rechtzeitig zur Urlaubsartikelsaison, »Spiegel«,

lesen wir in Deinem Urlaubsartikel »Entzauberte Idylle« die Behauptung: »In den Ferien wollen wir doch alle nur eins: Aperol Spritz und endlich mal in Ruhe lesen.«

Das können wir natürlich sehr gut verstehen. Wir wollen in den Ferien auch nur eins: 1. eine eigene Softeismaschine auf dem Balkon, 2. einen Jacuzzi im Wohnzimmer, 3. eine Strandbar auf dem Balkon, 4. einen Balkon.

Deine Urlaubsmathematiker/innen von Titanic

 Ach, Andrea Munkert,

da bezahlt Sie das Nürnberger Stadtmarketing dafür, vom innerstädtischen Elend abzulenken und eine verschnarchte Ecke namens Weinmarkt in himmlische Höhen zu loben – und was tun Sie? Sie schreiben: »Nürnberg – Während in den Einkaufsstraßen in der Innenstadt der Leerstand jault, pulsiert in einem neugestalteten Altstadt-Quartier das pralle Leben. Der Weinmarkt ist erwacht, erblüht – und so ganz anders als der Rest der Altstadt.«

Jaulender Leerstand – wer kennt’s nicht vom Besuch quasi jedweder Innenstadt? Wie ebenfalls üblich schläft der Rest der Altstadt, verwelkt, ja verdorrt gar krachend. Und wenn man genau hinhört, grunzt da nicht auch ein wenig die Aufenthaltsqualität? Aber wenn erst die Mieterhöhung singt und die Immobilienspekulation trommelt, dann ist die Stadt sicherlich wieder hellwach.

Heult still in sich hinein: Titanic

 Eine Frage, »Welt«-Newsletter …

Du informiertest Deine Abonnent/innen mit folgenden Worten über die Situation nach dem Hoteleinsturz in Kröv: »Bisher wurden zwei Menschen tot geborgen, weitere konnten verletzt – aber lebend – gerettet werden.« Aber wie viele Menschen wurden denn bitte verletzt, aber leider tot gerettet?

Rätselt knobelnd Titanic

 Kopf einschalten, »Soziologie-Superstar« Hartmut Rosa (»SZ«)!

Wahrscheinlich aus dem Homeoffice von der Strandbar tippen Sie der SZ dieses Zitat vor die Paywall: »Früher waren zum Beispiel die beruflichen Erwartungen, wenn man zu Hause war, auf Standby. Heute kann man andersherum auch im Büro natürlich viel leichter nebenbei private Kommunikation erledigen. Man kann nichts mehr auf Standby schalten, selbst im Urlaub.«

Ihr Oberstübchen war beim Verfassen dieser Zeilen ganz offenbar nicht auf Standby, denn dieser Begriff bezeichnet laut dem Cambridge Dictionary »something that is always ready for use«. Also sind wir gerade im Urlaub und im Feierabend heutzutage für den Job immer im Standby-Modus – also auf Abruf –, anders als bei der Arbeit, wo wir »on« sind, und anders als früher, wo wir dann »off« waren und daher alles gut und kein Problem war.

Dagegen dauerhaft abgeschaltet sind Ihre Hardwarespezis von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Schock total

Wenn im Freibad dieser eine sehr alte Rentner, der sich beim Schwimmen kaum fortzubewegen scheint, der bei seinen zeitlupenartigen Zügen lange untertaucht und von dem man dachte, dass er das Becken schon vor langer Zeit verlassen hat, plötzlich direkt vor einem auftaucht.

Leo Riegel

 Aus einer Todesanzeige

»Wer sie kannte, weiß was wir verloren haben.« Die Kommasetzung bei Relativsätzen.

Frank Jakubzik

 Zero Punkte für den Underdog

Nach meinem Urlaub in Holstein möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die oft zu Unrecht belächelte Ostsee brechen. Jene, so heißt es, sei eigentlich gar kein richtiges Meer und habe ihre unwürdige Existenz bloß einer brackigen XXL-Schmelzwasserpfütze zu verdanken. Wellen und Brandung seien lächerlich, die Strände mickrig und das Leben unter Wasser mit der Artenvielfalt in einem Löschtümpel vergleichbar. Außerdem habe ein Gewässer, in das man vierhundert Meter hineinschwimmen und danach selbst als Siebenjähriger noch bequem stehen könne, das Prädikat »maritim« schlicht nicht verdient. Vorurteile, die ich nur zu gerne mit fantastischen Bildern und spektakulären Videos widerlegen würde. Doch daraus wird dieses Mal nichts. Leider habe ich meine kompletten Küsten-Campingferien aus Versehen im »Freibad am Kleinen Dieksee« verbracht und den Unterschied erst zu spät bemerkt!

Patric Hemgesberg

 SB-Kassen

Zu den Seligen, die an Selbstbedienungskassen den Laden kaltblütig übervorteilen, gehöre ich nicht. Im Gegenteil, obwohl ich penibel alle Artikel scanne und bezahle, passiere ich die Diebstahlsicherungsanlage am Ausgang immer in der angespannten Erwartung, dass sie Alarm schlagen könnte. Neulich im Discounter kam beim Griff zu einer Eierschachtel eine neue Ungewissheit hinzu: Muss ich die Schachtel vor dem Scannen wie eine professionelle Kassierkraft öffnen, um zu kucken, ob beim Eierkauf alles mit rechten Dingen zugeht?

Andreas Maria Lugauer

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

Titanic unterwegs
18.09.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
18.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.09.2024 Berlin, Kulturstall auf dem Gutshof Britz Katharina Greve
19.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer