Humorkritik | Oktober 2017

Oktober 2017

Wenn Sie in den Zoo gehen, dann werden Sie feststellen, daß die Besucher nicht über Pinguine oder Giraffen lachen – obwohl letztere, wie ich finde, sehr lustig aussehen. Aber die Besucher lachen über die Affen. Weil sie sie damit auf Distanz halten wollen. Es ist ein bißchen so wie das Verhältnis von Nachbarländern: Wir Niederländer reißen zum Beispiel oft Witze über die Belgier – aber nicht über die Chinesen.
Frans de Waal

Erzähl mir weniger

Es gibt sie in Buchform, aber meistens begegnen sie einem im Internet, auf Facebook werden sie geteilt und in Kommentaren verlinkt: Erzähl-mir-nix-Comics. In den minimalistischen, digital hergestellten Cartoons werden Dialoge durchgespielt, die »dem Wahnsinn unseres Alltags« (Klappentext »Erzähl mir nix«, Heyne 2016) entsprungen sind. Die Psychologin Nadja Hermann beobachtet darin Widersprüche, Selbstbetrug und kognitive Dissonanzen, zeigt uns, wie man Verschwörungstheorien weiterspinnt, wie im Gespräch mit einem Autisten eigentlich der Gesunde der Gestörte ist oder daß diskriminierende Begriffe schneller ausgetauscht werden, als man sie lernen kann.

Nichts gegen einfache und einfachste, häßliche und häßlichste Kritzeleien: Die Sprechenden als kleine Strichmännchen-Pacmans zu zeigen, die in jedem Panel nahezu (oder völlig) identisch sind, wäre völlig legitim – wenn sie denn eine Funktion hätten, wenn sie im passenden Moment einen Ausdruck hätten, der den Witz bereichert oder bestenfalls ausmacht. So aber sind sie nichts als ein Vorwand, die Sache nicht »Dialog«, sondern Comic zu nennen. Diese Dialoge nun sind zwar immer intelligent und offenbaren nie eine verwerfliche Meinung; richtig lustig oder, wie der Klappentext behauptet, »irrsinnig komisch« und »bitterböse überspitzt« sind sie nicht. Denn die Autorin erfaßt zwar die Argumente und Scheinargumente ihrer Beobachtungsobjekte, nicht aber ihre Sprache. Jeder Pacman redet das gleiche etwas gestelzte Abiturientendeutsch (A: »Die Kinder werden von Termin zu Termin geschoben, um ein möglichst perfektes ›Endergebnis‹ zu kriegen. Hochleistungsmenschen, über deren Erfolge man sich profilieren kann.« Antwort von B: »Die meisten verstehen nicht, wie schädlich diese Terminüberladung ist«). Es gibt keine Punchlines, keine verschiedenen Stimmen, keine sprachliche Fallhöhe oder -grube. Ange- oder gar überspitzt wird hier gar nichts.

Schlimm genug, wenn eine Pointe so lauten muß: »Es stellte sich heraus, daß ›Immerhin hielt sie Sie trotz Ihrer vielen Falten für jung genug, um schwanger zu sein‹ auch nicht selbstwertförderlich war.« Bis man den Satz entschlüsselt hat, ist man eingeschlafen. Nachgeschobene Zweitpointe: »Immerhin hast du mein Selbstwertgefühl verbessert, indem du mir gezeigt hast, wie gut ich vergleichsweise in meinem Job bin.« Nun denn. Immerhin haben mir die Erzähl-mir-nix-Comics gezeigt, wie gut ich vergleichsweise darin bin, bei der Lektüre von papiertrockenen Monstersätzen wachzubleiben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg