Humorkritik | Juli 2017

Shocking!

Distanz zur erwachsenen Welt, Kritik an Konventionen und Spottlust gehören, wie ich als alter Mann wohl sagen darf, zur Jugend. Auch das Mädchen Jane Austen war zur vis comica höchlichst begabt, wie ihre von Ursula und Christian Grawe übersetzten Juvenilia (»Die schöne Cassandra. Sämtliche Jugendwerke«, Reclam) beweisen: Was sie im Alter von zwölf bis 17 an Skizzen, Minidramen, Sachprosa und Geschichten zu Papier brachte, ist von tückisch trockenem Humor – »Mein Vater war ein recht wohlhabender Gentleman in Birkshire; ich und ein paar andere waren seine einzigen Kinder« – und befreiend frech, wenn sie Elisabeth I. von England als »Schandfleck der Menschheit« und »Pestbeule der Gesellschaft« beschimpft. Dann wieder ergötzt sich die junge Dame an albernen Tautologien, um menschliche Vollkommenheit zu bespötteln (»Obwohl wohlwollend und ehrlich, war sie großzügig und aufrichtig; obwohl fromm und gütig, war sie religiös und liebenswert«), oder macht sich statt über Hartherzigkeit über deren Ankläger lustig: »›Gnädiger Herr‹, erwiderte Mr. Gowert aufgebracht, ›ich sehe, daß Sie ein höchst unbeugsamer Mann sind und nicht einmal der Tod Ihres Sohnes Sie veranlaßt, ihm eine glückliche Zukunft zu wünschen.‹« Nebenbei treibt sie Schabernack mit literarischen Normen und hält es im siebten Kapitel von »Jack und Alice« für »angebracht, zum Helden dieses Romans, Alices Bruder, zurückzukehren«, von dem zuvor nie die Rede war und danach auch nicht mehr, weil er schon im nächsten Satz tot ist.

Die helle Freude an Unfug und Unschicklichem durchwirkt diese jugendfrischen Talentproben, unbesorgt spielt Jane Austen mit Gut und Böse. Wäre sie nicht vor ziemlich genau 200 Jahren, am 18.7.1817 gestorben, hätte sie in den 1930ern gewiß Screwball-Comedys fürs US-Kino verfaßt und schriebe heute Drehbücher für Sitcoms – oder für die Verfilmungen ihrer eigenen Werke.

Obwohl das nicht nottäte, wie die jüngste beweist: die Gesellschaftskomödie »Love and Friendship« nach dem Frühwerk »Lady Susan« (auf deutsch ebenfalls bei Reclam: »Die Watsons – Lady Susan – Sanditon«). Gekonnt dampft Regisseur Whit Stillman den Briefroman auf konzentriert flotte 92 Minuten ein, so daß die Hohlheit der Männer und die Gerissenheit der Weiber (namentlich der schönen Lady Susan als intrigantes Miststück) von der ersten Minute an in grellem Licht erstrahlen; wobei der prächtige Kostümfilm die einem Roman fehlenden Schauwerte glücklich hinzufügt. Der Kontrast zwischen herrlichem Putz hie und miesem Charakter bzw. Blödheit da tut ein übriges, um das aristokratische Milieu vollends der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Hauptrolle kommt aber der Konversation zu, in der Beleidigungen wie auch offene Lügen höflichst ausgesprochen werden und an engelsgleicher Contenance abprallen. Diese Kunst Jane Austens kommt hier ungefiltert zum Tragen wie in keiner anderen Verfilmung – und wie in keinem ihrer großen Romane.

Lady Susan sucht einen Heiratskandidaten, der dumm sein darf, aber reich sein muß. »Cherchez l’homme« war Jane Austens literarische Obsession. Später sollte die mit Bedacht ledig Bleibende ihr Thema in langen, sehr langen Gesellschaftsromanen behandeln, verfeinert mit leichter Ironie und einem reifen Sinn für Realismus; in ihrer Pubertät wollte sie noch shocking sein. Leise bedauere ich die Entwicklung. Jane Austen hätte ihrem Jugendstil auch treu bleiben können.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster