Humorkritik | Juli 2017

Qualen mit Zahlen
Die Hölle gilt allgemein als ein Ort, an dem es nichts zu lachen gibt. Trotzdem haben viele der unzähligen ernsthaften Beschreibungen der Hölle, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, etwas Erheiterndes. Das führt uns ganz ausgezeichnet der französische Kulturhistoriker Georges Minois vor Augen, dessen Standardwerk »Die Hölle. Zur Geschichte einer Fiktion« (deutsch 1994) ich hier zum Wiederlesen wärmstens empfehlen will.
Die Details der christlichen Höllen sind oft besonders komisch. Im Christentum werden Höllenstrafen nämlich vielfach für das wichtigste Mittel gehalten, die Gläubigen bei der Stange zu halten. Das führt dazu, daß die Prediger die Intensität der Qualen, die die Verdammten zu erwarten haben, immer weiter übertreiben müssen, was – wie eigentlich jede Übertreibung – schnell sehr grotesk und spaßig wirkt. Die Bibel selbst gibt für diese Zwecke nicht sehr viel her. Aber bereits in der apokryphen »Apokalypse des Paulus« (etwa 240–250 nach Christus) geht der Autor in die brutalen Einzelheiten: Er behauptet, daß es in der Hölle 140 000 verschiedene Arten von Folterqualen gäbe und daß, selbst wenn hundert Menschen seit Anbeginn der Welt von diesen Qualen sprächen und jeder dieser Menschen vier Zungen besäße – wieso eigentlich nur vier? –, sie mit ihren Beschreibungen bis zum heutigen Tag nicht fertig wären.
Ganz ähnlich versuchen sich die Propagandisten der Hölle auch bei der Schilderung der Dauer der Qualen zu übertreffen. Galt noch kurz nach dem Tod Christi eine maximale Höllenaufenthaltsdauer von – je nach Delikt – sieben Wochen bis zwölf Monaten als relativ gesichert, sind etwa tausend Jahre später bei Dante oder Thomas von Aquin die wirklichen Übeltäter definitiv für alle Ewigkeit verdammt. Da aber der tumbe Gläubige keinen Begriff von dieser Ewigkeit hat, erklärt man sie ihm möglichst anschaulich: »Dort werden«, führt der Jesuit Pierre Coton (1564–1626) vor seiner Gemeinde aus, »Dutzende, Hunderte, Tausende, Zehntausende, Hunderttausende, Millionen, Hunderte von Millionen, Milliarden von Milliarden von Jahren vergehen, und dann beginnt alles wieder von vorne.« Das klingt fast so, als ob ein phantasiebegabtes Kind ›ganz, ganz viel‹ sagen möchte und dann nicht mehr damit aufhört, Zahlen herunterzurattern.
Eine komische Vorstellung ist es gewiß auch, wenn in der Hölle, in der ansonsten durchgehend und ad infinitum auf die grausamsten Weisen gefoltert wird, von Samstagabend bis zur Vesper am Sonntag eine Ruhepause gilt, in der sich die Verdammten von ihren Strapazen erholen können (so etwa in der Navigatio Sancti Brendani im 9. Jahrhundert). Ebenso amüsiert hat mich die Verdammtenquote, die der französische Prediger Julien Loriot Ende des 17. Jahrhunderts verkündet: Bei täglich 60 000 Toten auf der Welt gebe es im Durchschnitt einen Auserwählten, drei Seelen für das Fegefeuer und 59 996 Verdammte. Vor Gott und in der Hölle geht’s anscheinend kaum weniger schematisch zu als in jedem weltlichen Finanzamt.
Dagegen läßt Allah in der islamischen Hölle durchaus manchmal fünfe gerade sein. Der muslimische Mystiker Ghazali berichtet, daß der Allerhöchste einst einem guten Moslem eine Höllenangst einjagte, indem er ihn nach dem Tod im Glauben ließ, er sei verdammt. Erst als der Mann vor Angst schlotternd am Höllentor stand, rief Allah ihn zurück und gestand, daß er ihn gefoppt hatte. Zudem sieht die muslimische Hölle lustiger aus: Sie hat Augen, Ohren und eine Zunge und wird von 70 000 Engeln gezogen, wohin auch immer.
Noch besser gefällt mir allerdings eine andere muslimische Höllenanekdote. In der heißt es, daß Verdammte, die Allah darum bitten, ihren Qualen durch einen (zweiten) Tod ein Ende zu setzen, jedes Mal tausend Jahre auf eine Antwort warten müssen. Und diese Antwort lautet auch jedes Mal: »Nein.« Für diese Pointe hätte ich allerdings einen kleinen Verbesserungsvorschlag: Wäre es nicht noch komischer, wenn der Allmächtige nach tausend Jahren mit: »Vielleicht« antworten würde? Würde so nicht noch ein bißchen mehr Spannung in die Sache kommen? Was meinen Sie, Herr Allah?