Humorkritik | September 2015

September 2015

»Dies ist mein wichtigstes Wort an euch: Freude! Seid keine traurigen Menschen.«
Jorge Mario Bergoglio

Mein blöder Zwilling

»Eric Jarosinski ist ein Phänomen.« Warum aber nun abschließend dies, liebe Pressetexter des S. Fischer-Verlags? »Unter seiner Kunstfigur ›NeinQuarterly‹ twittert er seit einigen Jahren Aphorismen in 140 Zeichen.« Ah, drum also. »Jetzt hat er ein Buch geschrieben.« Ich muß die seltsamen Gedankenschnörkel des auf deutsch fabulierenden amerikanischen Twitterers Eric Jarosinski (»NeinQuarterly«) also künftig nicht nur jede Woche in der Wochenzeitung Die Zeit ertragen, sondern auch noch in Buchform (»Nein. Ein Manifest«) – schade, denn in der großen Jauchegrube Internet (und Zeit-Archiv) fand ich sie ganz gut aufgehoben, diese »kurzen, pointierten philosophischen Texte zu den wichtigen Themen des Lebens«, in denen Jarosinski »souverän mit der Sprache der Werbung« spielt, »mit Slogans und Small-Talk-Versatzstücken. Er mischt sie mit Witz und einer Liebe zur deutschen Sprache selbstironisch zu einzigartigen, tiefgründigen oder einfach nur witzigen Botschaften«; einfach nur witzige Botschaften mit Witz also. Die klingen dann so: »Leben: Hauptursache des Todes.« Das hätte Woody Allen schon als Fünfzehnjähriger eleganter gesagt. Oder: »Kunst: Schreckliche Schönheit geboren in und aus schrecklichen Zeiten.« Das schauerliche Klischee vom leidenden Genie. Aber auch: »Deutsch: Sprache, die für die Philosophie erfunden wurde, aber für den Bau von Autos verwendet wird.« Daß man Autos aus Sprache fertigt, war mir immerhin neu.

Zwei Methoden hat Jarosinski. Methode 1: Nimm eine alte, gut etablierte Phrase wie etwa »Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter«, extrahiere ihren Sinngehalt und formuliere sie neu. Heraus kommt ein Aphorismus wie dieser: »Glück: Gefühl des Wohlbehagens, das man erst schätzt, wenn es verflogen ist.« Der tranige Spruch für Vulgärdialektiker, wonach jede Medaille zwei Seiten hat, lautet auf Jarosinskisch: »#GemischteGefühle: Die gute Nachricht: (Absatz) Technologie hat uns enger zusammengebracht. (Absatz) Die schlechte Nachricht: (Absatz) Siehe oben.« Oder auch: »#UtopischeNegation: Verzweiflung. (Absatz) Auf der Suche nach einer besseren Welt. (Absatz) Und Hoffnung. (Absatz) Daß sie sich nie finden läßt.« Solche schlichte Paradoxa hat er en gros lagernd.

Methode 2: Spiele auf berühmte Künstler und Denker an, aber erwähne nur die nächstliegenden Klischees. Freud: Sex. Magritte: Pfeife. Nabokov: Schmetterling. Marx: Bart. Umsetzung: »Nabokov: Jemand, der Schmetterlinge sammelt, um daraus Sätze zu bauen.« Und: »#DasIstKeinWitz: Magritte kommt in eine Bar. (Absatz) Pfeife rauchend. (Absatz) Setzt sich neben Freud. (Absatz) Phallus rauchend.« Ein paar Seiten weiter raucht Magritte dann »ein Gemälde«, und über Freud heißt es: »Begehren Sie uns bald wieder.« Danke, man hatte die Klischees kurzzeitig vergessen. »Marxismus: Die auskahlenden Theorien der Bärtigen.« Bzw.: »Hegel: Deutsches Haargel. Für Glatzköpfige.« Ob man solchen Schwachsinn erträglicher findet, wenn man Deutsch nicht als Elternsprache hat? Oder noch entsetzlicher? Lassen Sie es mich in der Hashtagsprache ausdrücken: »#Eric Jarosinski: Wie Rolf Dobelli. (Absatz) Mit einem Semester Philosophie. (Absatz) In dem er geschlafen hat. (Absatz) Mit seiner Mutter.« Die letzte Ellipse ist übrigens keine sinnlose Schmähkritik, sondern bloß eine gleichermaßen sinnlose Freud-Anspielung.

Verzeihen will ich Jarosinski hingegen das Porträt, das auf seinem Buchcover prangt, und niemand anderen zeigt als: Ihren alten Hans Mentz – ohne Bart, dafür aber mit Monokel. Ein derart einprägsames Antlitz wie das meine reicht auch für zwei.

Indes, verwechseln sollte man uns beide nicht, meinen Zwilling und mich. Davor warne ich.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg