Humorkritik | März 2015

März 2015

»Clowns sind traurig. ­Es sind die Leute, die über sie lachen.« – »Gut, ich werde ­eine neue Art Clown sein. Ich werde in der Manege stehen und über die Leute ­lachen.«
Harper Lee

Houellebecqs Schwalben

Über das neue Buch »Unterwerfung« von Michel Houellebecq zu schreiben, ohne die Pariser Terroranschläge zu erwähnen – das hat bis jetzt noch kaum ein Rezensent geschafft. Tatsächlich sind die Parallelen zwischen Buch und Gegenwart streckenweise unheimlich. Und doch umgibt diesen feinen satirischen Roman, der das islamische Frankreich des Jahres 2022 imaginiert, eher die betörende Aura des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ja, man fühlt sich wie im Fin de siècle, was am Protagonisten und Ich-Erzähler liegt, dem älter und kränklicher werdenden Literaturprofessor François. Dessen Spezialgebiet ist der naturalistische Schriftsteller Joris-Karl Huysmans, der mit seinem Buch »A rebours« der décadence der dix-neuvièmistes eine Stimme verlieh.

Endzeitstimmung also. Der Werteverfall der westlichen Gesellschaften ermüdet François, und die Wende zum Islam kommt ihm, wie er bald feststellt, nicht ungelegen. Houellebecq schildert dies mit der seinem Schreiben eigenen melancholischen Heiterkeit. Wie Huysmans schwebt François nichts Schöneres mehr vor, als »sich mit einem Stapel Bücher und einem Päckchen Tabak in Reichweite allein in sein Bett zu legen«. Auch in seiner Post weiß er »die Schreiben der beiden wichtigsten Ansprechpartner auszusortieren, die dem Leben eines Menschen Struktur geben: Krankenversicherung und Finanzamt«, einzig zu seinem Genital hat er ein unbeschwertes Verhältnis: »Mein Schwanz war im Grunde das einzige Organ, das sich mir nie durch Schmerzen bemerkbar gemacht hatte, sondern nur durch rauschhaften Genuß. (…) Nie befahl er mir etwas, gelegentlich ermunterte er mich nur in aller Bescheidenheit, ohne Groll und Wut, ein geselligeres Leben zu führen.« Allerdings: auch der Sex wird schal, und trotz Dauerständer mag sich keine rechte Lust mehr einstellen. François ernährt sich von nicht viel mehr als Zigaretten, Alkohol und Fertiggerichten, was nicht nur seine Gesundheit zerstört, sondern in einer hübschen Szene auch dazu führt, daß er eine politische Debatte im TV verpaßt, weil die Mikrowelle versagt und er sich seine Fertigmahlzeit in der Pfanne heiß machen muß. Überhaupt strukturiert er seine Welt gern über das Kulinarische: »Außer, daß man dort Enten-Confit aß, wußte ich so gut wie nichts über diese Gegend. Und Enten-Confit und Bürgerkrieg, das paßte nicht zusammen.«

Die für Houllebecqs Bücher so typische Misogynie ist auch hier wieder zu haben: »Es hätte einer Frau bedurft, das war die klassische, die bewährte Lösung, denn eine Frau, die zwar unzweifelhaft menschlich ist, aber doch einen Typus darstellt, der sich ein klein wenig von der Menschheit unterscheidet, befruchtet das Leben mit einem gewissen Hauch von Exotik.« Ja, dieser François ist wahrlich ein saturierter und in seinem Selbstekel nicht zu beneidender Geselle, einer, der vom wertebasierten Islam gar nicht erobert werden muß, sondern sich bereitwillig in dessen Arme fallen läßt. »Allein das Wort ›Humanismus‹ verursachte bei mir ein leichtes Gefühl von Übelkeit, aber vielleicht waren es auch die warmen Teigtaschen, mit denen ich es übertrieben hatte.« Dann doch lieber Polygamie.

Schließen möchte ich mit einem besonders hübschen Vergleich aus dem Reich der Fauna, der François während einer seiner Besuche auf Youporn in den Sinn kommt: »Der Schwanz ging von Mund zu Mund, die Zungen kreuzten sich, wie die Schwalben sich in leichter Unruhe im dunklen Südhimmel des Département Seine-et-Marne kreuzen, kurz bevor sie Europa verlassen, um dem Winter zu entfliehen.« Damit möchte auch ich entfliehen – und Ihnen den neuen Houellebecq an den Schwanz legen. Respektive ans Herz.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt