Humorkritik | Oktober 2014

Oktober 2014

Der respektierte Mr. Sloane

Wenn der Protagonist einer neuen Sitcom in deren erster Minute den Versuch unternimmt, sich zu erhängen, dies aber nicht schafft, weil die Schlinge aus der Verankerung reißt und der halb Strangulierte auf dem Wohnzimmerboden landet – dann ist das keine Überraschung (und deshalb auch kein Lacher). Wenn allerdings im nächsten Moment das Telefon klingelt, der eben noch Suizidale rangeht und mit melodischer Stimme »Watford 10579« in den Hörer flötet, als sei gar nichts gewesen und als säße er nicht mit einem Seil um den Hals im Bauschutt: dann ist das ein Gag. Und mehr als das: Es umreißt den Grundkonflikt von
»Mr. Sloane« (Sky Atlantic), nämlich den eines nicht mehr ganz jungen Biedermannes, vor dem Abgrund zu stehen, sich aber nichts anmerken lassen zu dürfen.

Mr. Sloane jedenfalls gibt sein Bestes, die »old chap«-Fassade aufrechtzuerhalten. Von seiner Frau verlassen, als Buchhalter gefeuert, läßt er sich stoisch weiterhin von seinen drei Kumpel im Pub freundlich demütigen. Alles, was er dem trostlosen Leben entgegenzuhalten weiß, sind Saufen und Fressen. Denn obwohl es Ende 1969 ist und London längst swingt, ist davon in der Spießerwelt Watfords rein gar nichts zu spüren: Dort gehört es zum guten Ton, die Kinder während des abendlichen Pub-Besuchs im Auto warten zu lassen und anschließend volltrunken nach Hause zu fahren. Sloane selbst, stets korrekt gekleidet und immer verbindlich, ist im Grunde sogar noch in den Fünfzigern zu Hause. Da braucht es schon den Weckruf eines amerikanischen Blumenmädchens, das sich in die Provinz verirrt hat, um Sloane aus seinem selbstgeschaufelten Grab zu helfen. Oder ihn jedenfalls erkennen zu lassen, daß es sein Grab ist, das er sich da geschaufelt hat, und nicht seine Zukunft als wohlangesehener Mann.

»A Well Respected Man« von den Kinks hat Robert B. Weide, seines Zeichens Co-Creator und Regisseur von »Curb Your Enthusiasm«, als Titelsong für seinen Ausflug ins britische Fernsehen gewählt, und Weide schafft es, den Spott über das Altmodisch-Reaktionäre, der in diesem Song wie in der ganzen Serie steckt, stets auszubalancieren: indem er nämlich Nick Frost als Sloane besetzt. Frost, statt diesen armen Mann zur Witzfigur zu machen, legt Sloane so melancholisch-gutmütig an, daß man gar nicht anders kann, als mit ihm zu sympathisieren. Und nicht nur mit ihm, sondern mit der ganzen Serie.

Denn »Mr. Sloane« ist durchgehend sympathisch: sehr britisch (was erstaunt; ist doch Weide selbstredend Amerikaner), sehr filmisch gedreht mit viel Dunkelheit und starken Kontrasten, sowohl mit trockenem Humor als auch mit Slapstick ausgestattet und mit einer durchgehend starken Besetzung, von Olivia Colman (»Peep Show«) als (Ex-)Frau Sloanes bis hin zu Peter Serafinowicz als Sloanes Freund, Arbeitskollege und Bully.

Leider ist Weides Vorliebe fürs Altmodische zugleich die Schwäche der Serie. Denn einige Scherze (dicke Frauen fragen, »wann es denn soweit ist«; verstopfte Toiletten mit einem Regenschirm bearbeiten; Verwechslung von anzüglichem Hochzeitsgruß mit einer Beileidskarte) meint man nun doch schon gesehen zu haben, und auch ein unfreiwilliger Haschischrausch Sloanes hat Auswirkungen, die man eher LSD zuschreiben würde als harmlosem Marihuana. Andererseits sind viele von Weides Onelinern so gut, daß man sie bereits für Klassiker halten könnte. Etwa den, wenn sich die Freunde im Pub über das Eheleben unterhalten: »I’ll never get married. I just find a woman who hates me and then buy her a house.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann