Humorkritik | April 2013

April 2013

Voss und Vesper

Bernward Vesper, der Sohn des berüchtigten Nazi-Barden Will Vesper, verliebte sich Anfang der Sechziger in Gudrun Ensslin, dilettierte als Dichter, begab sich auf LSD-Trips, verfaßte in genialischen Schüben einen autobiographischen Roman und beging 1971 Selbstmord. Vespers Verleger Jörg Schröder gab den schriftlichen Nachlaß 1977 im März-Verlag unter dem Titel »Die Reise« heraus. Nun fällt Vespers Buch zwar nicht in mein Ressort, handelt es sich doch um eine todernste Generalabrechnung mit der Vätergeneration und darüber hinaus um die grandiose literarische Selbstzerfleischung eines linksradikalen Psychopathen.

Zu entdecken oder wiederzuentdecken ist nun aber auch der beschwingte Polemiker Bernward Vesper. Sein Jugendfreund Henner Voss hat im Verlag Johannes G. Hoof eine erweiterte Neuauflage seiner Erinnerungen an die Abenteuer vorgelegt, die er mit Vesper erlebt hat (»Vor der Reise«), und daraus tritt uns der unverblühte Geist der besten Vertreter einer Generation entgegen, die keine Ahnung hatte, was aus ihr werden sollte, aber sehr genau wußte, was sie auf keinen Fall wollte, nämlich so erstarren und verfetten wie Günter Grass. Die »Danziger Trilogie« wurde in Voss’ und Vespers Freundeskreis als »hochtrabender Murks eines flatulenten Conférenciers« abgetan, »und wir fragten uns, wer seine Wände zu Hause mit den gräßlichen Sujets seiner Lithographien besudeln mochte«. Kennenlernen kann man hier auch den sprücheklopfenden Kneipenbesucher Vesper, der mit seinem Mundwerk »ungetarnte Fluchtreflexe« bei den Frauen am Nebentisch auslöste: »Ihr eiliges Verschwinden ersparte uns, das Getränkeleergut hinter den vorderen Sitzen des VWs auf die schnelle entsorgen zu müssen.«

Leider hat dieses Büchlein nur einhundert Seiten. Mir wären auch eintausend willkommen gewesen, denn Henner Voss ist als Erzähler ein brillanter Giftpilz, und er verabscheut, wie es der Zufall will, dieselben »tristen Wackelköpfe«, die auch ich nicht ausstehen kann: Hellmuth Karasek, Matthias Matussek, Wolf Biermann, Jockel Fischer, Henryk M. Broder, Helmut Schmidt…

Bitte weitermachen, Herr Voss!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg