Humorkritik | Mai 2012
Mai 2012
In memoriam Kurt Hiller
Der 1885 geborene Publizist Kurt Hiller, sozialistischer Pazifist, Vertreter einer engagierten Literatur und Geburtshelfer des Expressionismus, kehrte erst 1955 aus dem Exil zurück und ließ sich in Hamburg nieder, ohne sich jedoch mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik anfreunden zu können. Um so größer war sein Entzücken, als er 1959 Post von einem jungen Marbacher Bibliothekar und Literaturwissenschaftler erhielt und sich dazu aufgefordert sah, als Zeitzeuge und Berater bei einer großen Expressionismus-Ausstellung mitzuwirken. Es kam zu einer ausgedehnten Korrespondenz, die jetzt in einem solide kommentierten Sammelband vorliegt (»Ich war nie Expressionist. Kurt Hiller im Briefwechsel mit Paul Raabe 1959–1968«, herausgegeben von Ricarda Dick, Wallstein Verlag).
Das Herrlichste daran ist die durch keinen Anflug von Altersmilde abgeschwächte Angriffslust, die Hiller beim Blick auf die ihn umgebende Gesellschaft erfüllt hat. So etwas lese ich mit Freuden: »Da nach der Explosion der zwölfjährigen Gesindelherrschaft in Deutschland keineswegs an den geistigen Status vor ihr angeknüpft wurde, vielmehr an die schlammige, gegenaufklärerische, aftermetaphyselnd-reaktionäre, statt auf Kant auf Herrn Hegel fußende Mentalität der nichtnazistischen Helfer Hitlers ab 1933 bis tief in den Krieg hinein, an die Mentalität jener seriösen Kanaille, die heute Akademien, Universitäten, die Presse und das Verlagswesen fast unumschränkt beherrscht, so steht das offiziell kultürliche, ich meine das nach innen machtmäßig reale Deutschland zurzeit ungefähr da, wo es 1914 stand.«
Sollte ich jemals im Altersheim landen, wünsche ich mir einen solchen Zimmernachbarn zur Linken. Zur Rechten könnte dann von mir aus ein Buddhist logieren.