Humorkritik | Mai 2012

Mai 2012

Unterm Strich ratlos

Und dann bin ich doch tatsächlich auf die Werbung reingefallen: Weil mich laut Verlagspropaganda nichts Geringeres erwartete als »der humorvollste Zweikampf seit Don Camillo und Peppone«, habe ich den dergestalt angepriesenen Roman »Der Hodscha und die Piepenkötter« (Rowohlt) aus der Feder des Journalisten Birand Bingül gelesen.

Nun ist es ja nicht so, daß Giovannino Guareschis italienischer Nachkriegsklassiker zu den wirklich komischen Werken der Weltliteratur gehört; vielmehr handelt es sich um eine betuliche, am Konsens orientierte Humoreske (»Don Camillo kehrte heim und erzählte alles dem Christus vom Hauptaltar, und Christus schüttelte den Kopf und sagte mit einem Seufzer: ›Verrückte Bande!‹«). Die Idee, die Konfliktkonstellation »konservativer Kleriker vs. kommunistischer Bürgermeister« in Form der Neuauflage »muslimischer Geistlicher vs. christlich-demokratische Bürgermeisterin« in die Gegenwart zu übertragen, birgt ja auch jede Menge Potential, zumal wenn sich der Autor »viele Jahre intensiv mit den Themen Integration und Migration beschäftigt hat«.

Reine Fachkompetenz freilich reicht ebensowenig aus wie Bingüls rechtschaffene Bemühungen um Camillo-Analogien (wo der mit der Jesusfigur in seiner Dorfkirche plaudert, streitet der Hodscha mit Allah; und auch Details, wie etwa das Motiv des zur finalen Lösung aller Konflikte anberaumten Fußballspiels, werden aufgegriffen). Denn Schreiben sollte man schon auch können. Guareschi konnte immerhin Figuren zeichnen, Spannung aufbauen, Atmosphäre erzeugen – kurzum: erzählen. Ungeschickte Sätze à la »Der Junge, der nicht gelacht hatte, war Patrick. Das war zum ersten Mal seit einer Ewigkeit passiert« oder »eine Wolke aus Grog und Gummibärchen wehte Patrick entgegen« hat Guareschi nicht produziert. Den Schlampigkeiten im sprachlichen Detail entspricht eine grundsätzliche Wurschtigkeit, mit der Bingül das Potential seiner Camillo-Neuauflage verschenkt. Da will der Hodscha, frisch auf dem mal als Klein-, mal als Großstadt gezeichneten Schauplatz eingetroffen, umgehend eine repräsentative Moschee bauen lassen, während die Bürgermeisterin mit dem zum Piepen lustigen Namen Piepenkötter kurz vor Neuwahlen steht. Warum sich die titelgebenden Protagonisten aber in der Folge so heftig in die Haare kriegen, wird nicht klar; ebensowenig, was die Geschichte der daraus resultierenden Fehde eigentlich vorstellen will. Politische Satire? Komödiantische Schnurre? Ein Podium, auf dem Bingül brav recherchierte Informationen zur Rolle der Frau im Islam referieren kann? Oder doch nur den Versuch, ein heißes politisches Eisen mal eben in Umsatz umzumünzen?

Statt Typen bietet der Roman Klischees (so hat ein Lokaljournalist sturheil ein windiger Säufer zu sein). Die Handlung hopst von einer überzogenen Aktion zur nächsten. Und ständig beruft die Bürgermeisterin Pressekonferenzen ein, zu denen sich dann regelmäßig eine leicht zu emotionalisierende Menschenmenge einfindet. »›Herzlich willkommen‹, sagte die Piepenkötter in die vor ihr stehenden Mikrofone, so daß alle sie hören konnten.« Genauso geht das mit den Mikrofonen, und genauso treiben sie’s, die Provinzpolitiker. Und werden dann doch mal wieder von den Menschen nicht verstanden. Denn siehe: »Alle waren unterm Strich ratlos.« Ich freilich bin es nicht: Ich rate ab.

  

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Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

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