Humorkritik | Dezember 2010

Dezember 2010

Fotos ohne Inhalt

Seit drei Jahren hat die FAZ ein Titelbild. Wie die Abschaffung der Fraktur in den Leitartikeln gehört es zu den kleinen Reformen, die einer Menge Altabonnenten zu bunt, zu laut und damit Kündigungsgrund waren, auf die die Zeitung selbst aber stolz ist – ein Leservoting für das beste Motiv beweist das. Im Gegensatz zur Konkurrenz zeugt die Rubrik (die aus Überschrift, Foto und einer Legende besteht) von bildnerischer Phantasie und Mut zum Experiment. Viel häufiger als die bekannten Agenturfotos verwendet man Bilder, die zunächst ohne Nachrichtenwert sind: einen Rebus, ein Comiczitat oder den vieldeutigen Ausschnitt eines größeren Fotos. Bildüber- und -unterschrift sollen dann den Bezug zu den Nachrichten herstellen.

 

Doch da fangen die Probleme schon an. Den anonymen Autoren genügt es nicht, das Bilderrätsel aufzulösen; immer wieder geht ihre Formulierungssucht mit ihnen durch, genau wie das Bedürfnis, alle wichtigen Tagesereignisse auf das Motiv zu übertragen. Und weil es bei der FAZ im Gegensatz zur Süddeutschen keine Glosse auf Seite eins gibt, ist die Bildunterschrift auch gern humorig. Ein Beispiel, vom Staatsbesuch Horst Köhlers in Indien; das Foto zeigt seine Fußabdrücke in einem Tempel. Der Text dazu lautet: »Der Schuster läuft barfuß, weiß das Sprichwort. Das unterscheidet ihn vom Politiker, der meist etwas davon hat, wenn er die Menschheit beglückt. Hugo Chávez auf Seite 3 etwa ist zwar Schuster und läuft barfuß, in Wahrheit aber hat er Schuhe in Hülle und Fülle. Barack Obama dagegen läuft zwar mehr und mehr barfuß, aber ist er auf Seite 2 noch ein Schuster?« Ja, ist er das? Bzw.: Wie bitte? Hat das irgend jemand verstanden? Und sei es der Autor selbst?

 

Medienkritiker werden hier das alte Bild von einer Journalistenzunft bestätigt sehen, die ihrer Hauptaufgabe überdrüssig ist und viel lieber Literatur produziert. Mich hingegen ärgert vor allem das, was da komisch sein soll. Denn das geht leider oft in die Hose. Da werden üble, schon bei der Geburt veraltete Kalauer wie der vom »Eye-Pad« aufgewärmt, wenn die Einführung des Geräts mit einem Wattepad für Augen-Makeup illustriert wird. Der Text dazu ist weitaus schlimmer, in seinem tantenhaften, betulichen Ton (er empfiehlt, »die Augen – und sei es mit kosmetischem Gerät (unser Bild) – gut zu reinigen, bevor man sich auf Einkaufstour zur Firma Apple begibt«) und seiner Anbiederei an die konservative Stammleserschaft (»Altmodische Menschen nennen das Gerät einen Tafel-Computer und fragen sich, wozu es wohl gut sein mag«). Da lacht der Studienrat, und die Gattin schmunzelt mit.

 

Die Rubrik ist verliebt ins Understatement, riskiert dabei aber gern den Flirt mit unkorrekten bis zynischen Positionen. »Wellen können etwas sehr Schönes sein, wenn sie sanft ans Ufer schlagen«, steht zum Bild einer öligen Meereswelle, auch wenn »die Wellen am Golf von Mexiko (unser Bild) den Menschen in Louisiana … kein Vergnügen bereiten«. Eigentlich nur eine frivol vorgetragene Nichtigkeit, gewiß. Doch ihre permanente Witzelsucht führt die Autoren, berauscht von der eigenen Kühnheit, immer wieder vom bloß Zynischen ins reichlich Inhumane: »Aus Frankreich kam einmal die beste Werbung für Zigeuner« steht unter dem Bild einer Packung »Gitanes«: »Die Zigarette mußte in jedem Mundwinkel hängen, der im Zeichen einer tanzenden Zigeunerin Lebenslust inhalierte. Es sei denn, es hing dort schon eine ›Gauloise‹, eine Gallierin, die nicht das Rätsel aufgab, was denn Zigeuner mit blauem Dunst zu tun haben. Heute steht fest: Es war Romantik, die beides verband. Unter Nicolas Sarkozy ist es damit aber auch vorbei. Er ist Raucher nur in dem Sinne, daß er den Gitanes zeigen will, was eine Gauloise ist.« Was soll uns das bedeuten? Daß man die Unterdrückung der französischen Sinti und Roma auch durch die heitere Lupe sehen kann? Daß der FAZ auch dazu eine gelehrte Causerie einfällt? Ich weiß es nicht. Lachen kann ich darüber jedenfalls nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner