Humorkritik | Dezember 2010

Dezember 2010

Von der Zeit aufgezohren

Er war ein deutscher Nationaldichter. Seine Bücher wurden emsig gekauft, Sehenswürdigkeiten mit seinem Namen veredelt, Wirtshäuser nach ihm benannt. Dabei war er keineswegs ein Tiefsinn ausbrütender Dichter, wie es das Klischee geböte, sondern ein Unterhaltungsschriftsteller mit Humor. Am Ende wurde er sogar ein »von«: Der badische Großherzog erhob ihn in den Adelsstand.

 

Was ist geblieben von Joseph Victor von Scheffel? Daß seine beiden Hauptwerke, das Versepos »Der Trompeter von Säckingen« (1854) und der im Mittelalter angesiedelte Roman »Ekkehard« (1855), ein wenig humoristisch unterfüttert sind, spürt man zwar noch. Aber die nostalgisch müffelnde Grundstimmung und die altfränkische oder auch altbadische, jedenfalls altverschrumpelte Sprache machen einem die Komik sauer. Da beginnen die Sätze mit »da«, und sie fangen an mit »und«; da »tuet« man keine Schande und sagt »itzt« ein »Sprüchlein« auf; da »ward« ein »Krüglein« gereicht, und ein »Bänklein« stund an der Wand, und auf einem »Sträßlein« zieht man »von dannen«, und bald reicht’s.

 

Scheffel tot, Klappe zu, könnte man sagen, gäbe es nicht ein drittes Hauptwerk, die Gedichtsammlung »Gaudeamus« (1868), die Scheffel zu einem Hauptvertreter der damaligen Humorlyrik machte, des im 19. Jahrhundert modischen »Höheren Blödsinns«. Der Titel läßt ungute Burschenschaftlerei ahnen, und in der Tat feiert Scheffel das Bier, das Kneipen und die deutsche Nation, wobei sein Patriotismus der Parole gehorcht: Sag lustig, was du ernst meinst – das leider bis heute bekannte Lied »Als die Römer frech geworden« ist das schlagende Beispiel dafür.

 

Dann aber überraschen Gedichte, die arschgrad den braven Saufbürger durchs Bier ziehen: »Ein braver Kerl trinkt immerdar, / So viele Tag’ es gibt im Jahr, / Dreihundertfünfundsechzig! / Und wenn das Jahr ein Schaltjahr ist, / Trinkt er als Biedermann und Christ / Dreihundertsechsundsechzig.« Ja, Scheffel wird sogar mal richtig ungemütlich: »Ich wollt’, ich lief mit Wutgebrüll / Herum als Mordhyäne, / Ich nähm’ die ganze Menschheit wild / Als Frühstück zwischen die Zähne. // Am End’ fräß ich mit kaltem Blut / Mich selber noch dazu, / Denn eher kommt meine große Wut / Doch nimmermehr zur Ruh.« Selbst in Gedichten, deren Komik längst vom Zahn der Zeit angenagt wurde, blitzen hin und wieder schön schräge Reime auf, etwa wenn ein Maikäfer von einem Vogel »bei den Ohren« gepackt und »als Frühstück aufgezohren« wird.

 

Viel ist auch das nicht. Aber wer daraus folgert, Scheffel sei gestorben und vergessen, irrt: Die einigermaßen neue Werkauswahl »Warum küssen sich die Menschen?« des Libelle-Verlags hat bereits die vierte Auflage erklommen, und die »Literarische Gesellschaft (Scheffelbund Karlsruhe)« mit ihren fünftausend Mitgliedern ist der größte Literaturverein Deutschlands.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hmmm, Aurelie von Blazekovic (»SZ«)!

Am Abend der Wahlen in Thüringen und Sachsen hatte die ZDF-Chefredakteurin Schausten dem 1. September 2024 den 1. September 1939 an die Seite gestellt, und dazu fiel Ihnen dies ein: »Das Dämonisieren von Rechtspopulisten hatte bisher keinen Erfolg. Egal, wie richtig es ist, dass die AfD gefährlich, radikal, extrem ist. Politiker, Journalisten, Demokratieverteidiger können das immer noch lauter und lauter rufen – aber es bringt nichts. Die berechtigten Warnungen sind inzwischen leere Formeln. Die Wahlergebnisse der AfD sind immer besser geworden, der Trotz immer erheblicher. Die Tatsache, dass sie sich beständig als Opfer von Medien inszenieren kann, hat der Partei genutzt. Es ist nicht die Aufgabe von Bettina Schausten, die AfD kleinzukriegen, sondern die der anderen Parteien. Sie sollten mal über den Tim-Walz-Weg nachdenken. Ist Björn Höcke etwa nicht weird

Ist er. Hitler war es auch, und ihn als »Anstreicher« (Brecht) oder inexistenten Krachmacher (Tucholsky) zu entdämonisieren, hat bekanntlich so viel gebracht, dass diese Sätze nie haben fallen müssen: »Man hat mich immer als Propheten ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen heute Unzählige nicht mehr, und die jetzt noch lachen, werden in einiger Zeit vielleicht auch nicht mehr lachen.«

Wegweisend winkt Titanic

 Puh, Lars Klingbeil!

Gerade wollten wir den Arbeitstag für beendet erklären und auch die SPD mal in Ruhe vor sich hin sterben lassen, da quengeln Sie uns auf web.de entgegen, dass es »kein Recht auf Faulheit gibt«. Das sehen wir auch so, Klingbeil! Und halten deshalb jeden Tag, an dem wir uns nicht über Ihren Populismus lustig machen, für einen verschwendeten.

Die Mühe macht sich liebend gern: Titanic

 Und Du, »Braunschweiger Zeitung«,

hast uns mit Deiner Überschrift »Diese beiden tödlichen Keime bekämpfen Forscher aus Braunschweig« einen kleinen Schrecken eingejagt. Viel lieber wäre uns in eh schon schweren Zeiten die Headline »Forscher aus Braunschweig bekämpfen diese beiden tödlichen Keime« gewesen.

Bitte auf uns arme Seelen achten, wünscht sich

Deine Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Wie Ihr Euch als Gäste verhaltet, liebe »Zeit online«-Redaktion,

ist uns wirklich schleierhaft. Immerhin empfehlt Ihr allen guten Besucher/innen, beim Verlassen des Gästezimmers »mehr als eine Unterhose« anzuziehen. Da drängen sich uns einige Fragen auf: Ist Euch im Höschen öfters kalt? Ist das wieder so ein Modetrend, den wir verpasst haben? Gibt es bei Eurem Gastgeber keine Toilette und Ihr müsst vorbeugen?

Und wie trägt man überhaupt mehr als eine Unterhose? Muss man sich Buxen in aufsteigenden Größen kaufen oder reicht ein erhöhter Elastan-Anteil? Wie viele Schlüpferlagen empfiehlt der Knigge?

Denkbar wäre etwa, bei engen Freund/innen zu zwei, bei Geschäftskolleg/innen jedoch zu mindestens fünf Slips zu greifen. Aber wie sieht es aus bei der nahen, aber unliebsamen Verwandtschaft?

Trägt zur Sicherheit immer mindestens drei Stringtangas: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
12.10.2024 Bad Lauchstädt, Goethe Theater Max Goldt
12.10.2024 Freiburg, Vorderhaus Thomas Gsella
12.10.2024 Magdeburg, Moritzhof Hauck & Bauer
14.10.2024 Augsburg, Parktheater im Kurhaus Göggingen Hauck & Bauer und Thomas Gsella