Humorkritik | August 2010

August 2010

Satirische Mißwirtschaft

Der Schweizer Autor Martin Suter hört nicht auf, immer berühmter und berühmter zu werden. »Glänzend« nennt ihn die Financial Times, »amüsant« die Neue Zürcher Zeitung, »hundsgemein« die Frauenzeitschrift Brigitte. Diese Urteile entnehme ich dem Kolumnenband »Business Class II. Neue Geschichten aus der Welt des Managements«, der seit meiner ersten, Verdruß stiftenden Lektüre bei mir im Regal herumlag und den ich kürzlich wieder zur Hand nahm, als ich hörte, daß Suter für ebendiese Kolumnen ein sogenannter »Swift-Preis für Wirtschaftssatire« umgehängt wurde. Ich nehme an, die preisverleihenden Damen und Herren von der »Stiftung Marktwirtschaft« kennen Jonathan Swift aus der Gutenachtgeschichtenversion von »Gullivers Reisen«. Denn Suters Glossen erscheinen mir weder »glänzend« noch »amüsant« und schon überhaupt nicht »hundsgemein« – Prädikate, die etwa auf Swifts bekannte Satire »A Modest Proposal« sehr wohl zutreffen – sondern eher glanzlos, bieder, hundsharmlos: Da entdecken zwei brave Angestellte überraschende Gemeinsamkeiten, weil sie vor dreißig Jahren dasselbe Jimi-Hendrix-Konzert besucht haben: »Shit, Sie auch?« – »Yeah, shit, Herr Doktor.« Da scheitert die rechtzeitige Entgegennahme eines wichtigen Anrufes daran, daß der Anzurufende gerade auf dem Klo sitzt. »Kollege Breitmaier« hält einen seiner üblichen Vorträge, der aber diesmal »für Bombenstimmung« sorgt – Lösung: Breitmaiers Hosenladen ist offen. Ein bißchen Spaß hat man immerhin, wenn man versucht, möglichst früh die trübe Pointe der jeweiligen Kolumne zu erraten. »Bitte, bitte nicht stören« heißt ein Text, in dem die Sekretärin immer dann die Tür ihres Büros öffnet, wenn der Chef absolute Ruhe braucht. Mitarbeiter schleichen vorbei, die Toilette darf nicht benutzt werden, Besucher werden von der Rezeptionistin abgewimmelt. Warum aber darf der Chef nicht gestört werden? Spielt er gerade mit der Modelleisenbahn? Telefoniert er mit der Mutter? Knödelt er Opernarien? Nein, die Lösung ist zu öde, um draufzukommen – der Chef schläft.

 

Wo wir gerade bei Sekretärinnen und Rezeptionistinnen sind: Suters Managerwelt ist eine Männerwelt, in der sich äußerstenfalls die Ehefrauen über die Affären ihrer Gatten austauschen dürfen. Weshalb sich Suter mit dem Text »Führungskraft Dössegger« ein besonders hintersinniges Schmankerl zu leisten glaubt: »Dössegger ist eine Führungskraft, wie wir sie alle kennen«, geht »meistens kurz vor sieben aus dem Haus«, wird »von den Untergebenen gefürchtet, von den Vorgesetzten geliebt«; der Wagen ist »sportlich«, die Kleidung »klassisch«, die Familie »fremd«. Was ist der Witz an der »Führungskraft Dössegger«? Daß sie – und Suter schämt sich nicht für diese läppischste aller Pointen – »den Vornamen Jolanda trägt«.

 

Martin Suter, so die Preisverleiher, ist »ein Pionier auf dem Gebiet der Wirtschaftssatire« und hat sich »bisher nahezu konkurrenzlos mit dieser literarischen Gattung beschäftigt«. Könnte heißen: Es war halt kein anderer da. Immerhin diese Begründung ist eine gelungene Satire.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner