Humorkritik | September 2009

September 2009

Lieblings Buch

Eines der schönsten Bücher über das Boxen verdanken wir dem amerikanischen Journalisten A.J. Liebling, womit ich nicht sagen möchte, daß ich bisher viel Schönes über das Boxen gelesen habe. Und schon gar nichts Komisches, von Kleists Boxer-Anekdote einmal abgesehen.

Das Besondere an Abbott Joseph Lieblings Texten in »The Sweet Science«, die er in den frühen fünfziger Jahren für den New Yorker geschrieben hat und die jetzt unter dem Titel »Die artige Kunst« auf deutsch im Berenberg Verlag erschienen sind, ist sein Traditionsbewußtsein, das ihn immer wieder Bezug nehmen läßt auf sein großes englisches Vorbild: Pierce Egan hieß der Faustkampfexperte, der im frühen 19. Jahrhundert von den großen Preiskämpfen in artiger Form berichtet hat.

Auch bei Liebling nimmt die Schilderung der Umstände, der Umgebung und des Umfelds der Boxer mehr Raum ein als die Darstellung des Umsich- und Umhauens selber. Und das ist gut so, denn häufig sind die Begleiter der Kämpfer interessanter als diese selbst. So berichtet Liebling von Jack Kearns, einem »Manager der alten Schule. Seine charakteristische Krawatte am Tag unserer Begegnung war taubenblau, geziert mit Noten und Baßschlüsseln in schwarz, grün und cerise. Der Hersteller seines Hemdes hatte in diesem nicht nur die Farbe, sondern auch die Textur von Pistazieneis eingefangen. Es war bei dem herrschenden Wetter ein Wunder, daß die Kinder auf der Straße es ihm nicht vom Rücken geleckt hatten«, und so bunt geht es weiter. Im Gegensatz zu anderen Managern, die sich in Lieblings Interviews vor den Kämpfen mit ihren Boxern zu einem geschlossenenen »wir« vereinigen und stets für beide sprechen, bevorzugt Kearns die »Ich«-Form: »Ich, der einzige weiße Kerl mit einem Titel«, sagt Kearns, wenn er für seinen Halbschwergewichtsweltmeister Joe Maxim spricht, der im Ring für ihn den Kopf hinhalten darf. Doch der muß sich keine Sorgen machen, denn sein Manager hat eine klare Taktik: »Ich muß gut sein.«

Liebling kennt sich aus in dem Gewerbe, er ist ein derart kompetenter Fachmann, daß selbst Weltmeister wie Joe Louis seine Ratschläge befolgen: »›Gib’s ihm, Joe!‹ schrie ich bei jedem seiner Kämpfe, die ich sah, und früher oder später gab er’s ihm.«

Hübsch ist auch die Charakterisierung eines Herausforderers von Rocky Marciano, Ezzard Charles, dem ein Psychologe »eine intuitive Abneigung gegen Gewalt« bescheinigt hat, was am Ende von Runde sieben dazu führt, daß der Ringrichter Charles, der »instinktiv die Primitivität des ganzen Vorgangs abzulehnen« scheint, gnadenlos auszählt. Charles hört noch das finale: »Zehn« – und bleibt liegen. »Vielleicht hatte er einfach vergessen, aufzustehen.«.

Was einem irischen Schwergewicht namens Dan Donnelly nie passiert ist. Der von Liebling geliebte und in seiner gravitätischen Grandezza gern kopierte Chronist Pierce Egan hat dessen Grabinschrift überliefert: »Nie von der Faust, vom Punsch nur gefällt, / liegt hier der unbesiegte Held.« Donnelly nannte übrigens eine Whisky-Bar sein eigen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg