Humorkritik | September 2009

September 2009

Humorkritiker Fauser

Zur Buchmesse 1983 erscheint im Berliner Stadtmagazin tip ein Buchtip des Schriftstellers Jörg Fauser: »Da haben wir Fritz Franzinis ›Die Wüste lebt‹. Der ironische Titel dieses Debüts (über den Autor teilt der Verlag nur mit, er sei 1947 in Witten/Westf. als Sohn eines italienischen Obsthändlers und einer deutschen Näherin geboren und lebe heute in Westberlin), einem Tierfilm von Walt Disney entliehen, bezieht sich hier auf eine jener städtischen Wüstenzonen, wie sie uns Architektenwahnsinn und Bauprofitraten beschert haben. Selma ist die Heldin des Buchs, Tochter eines verbitterten exkommunistischen Arbeiters aus dem Wedding, der seit einem Arbeitsunfall von den Hüften abwärts gelähmt ist und in seinem Rollstuhl immer noch die Pistolen versteckt, die er als Rotfrontkämpfer durchs Dritte Reich gerettet hat. Selma bekommt – obwohl überdurchschnittlich begabt – nur einen Job als Kassiererin bei Hertie. Sie lernt Waldo Sachs kennen, einen windigen Boxprofi aus dem Stall des zwielichtigen Pelzhändlers Starnitzky … In diesem Dorado der lebendig begrabenen Glückssucher und der neuen Zombies der Vorstädte explodiert eine Handlung, die zum Abenteuerlichsten gehört, was deutsche Literatur je geboten hat« – wer den Schriftsteller Fauser kennt (und vielleicht schätzt), wird sich über diesen Buchtip, den man im achten Band der Werkausgabe (»Der Strand der Städte. Die journalistischen Arbeiten 1959-1987«, Alexander Verlag) nachlesen kann, kein bißchen wundern, denn das mochte Fauser ja: die Verlierer und Kleingauner, die Gestrandeten und Halbseidenen, verbeulte Kiezromantik, jeder stirbt für sich allein.

Drei tip-Ausgaben später, nachdem tip-Leser im Buchhandel vergeblich nach Franzinis Erstling gesucht haben, macht Fauser nun eine überraschende Mitteilung: Bei seiner Empfehlung habe es sich um eine mit »satirischem Charakter« gehandelt. »Gut, ich gebe zu, das ist nicht gerade der Holzhammerstil, den Satirekonsumenten von Pardon und auch TITANIC gewöhnt sein mögen, aber daß deswegen eine solche Aufregung entstehen könnte, war mir unvorstellbar.« Und mir, daß ein von mir stets geschätzter Autor nicht nur derart mißglückte Satiren (worauf eigentlich?) verzapfte, daß sie als solche gar nicht kenntlich werden konnten, und daß er gar nicht merkte, wie nah er hier an einer Selbstpersiflage vorbeischrieb. Und daß er von Satire und Holzhammerstil wie insgesamt von Humor, Komik und (Selbst-)Ironie dann doch so wenig, nämlich rein gar nichts (in Zahlen: null) verstand.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick