Humorkritik | September 2009

September 2009

Kurt Vonneguts Nachlaß

Bei den letzten etwas schwächeren Bänden, die man hierzulande vorgesetzt bekam (»Mann ohne Land«, »Gott segne Sie, Dr. Kevorkian«), dachte ich: Also gut, wenn es einer verdient hat, etwas kürzer zu treten, dann Kurt Vonnegut. Kurze Zeit später fiel er so unglücklich, wie es alten Leuten manchmal passiert, und es trat ein, was er selbst kaum für möglich gehalten hatte. Alle paar Jahre nämlich schrieb er einen Brief an seinen Sohn Mark mit ein paar Instruktionen: »Falls ich, Gott behüte, sterben sollte.«

Auf einmal starb er tatsächlich. Und ich dachte mir: Die etwas schwächeren Bücher waren immer noch besser als gar keine mehr. Aber fürs erste gibt es ja noch den Nachlaß: »Der taubenblaue Drache« (Kein&Aber) versammelt eine erste Auswahl neben älteren Geschichten aus dem 1999er Band »Bagombo Snuff Box«. Alles hierzulande unpubliziert und wieder souverän, sprachgewitzt und mit dem richtigen Händchen für den zutiefst moralischen Sarkasmus des Meisters, von Harry Rowohlt übersetzt. Ein wunderbares Buch, eine Art Vademekum für Humoristen, weil es ein ums andere Mal demonstriert, wie man witzig, gelegentlich fast albern schreiben kann, ohne banal zu werden, wie die Grundhaltung des Ironikers notwendig unterkellert ist von Humanität, Empathie und einem existentiellen Ernst, der weiß, was Menschen einander antun können.

Vonnegut hat als halb verhungerter Kriegsgefangener – und die besten Geschichten dieses Bandes handeln vom Krieg – die Einäscherung Dresdens miterlebt und muß anschließend die Leichen aus den Trümmern exhumieren. Von den Dresdnern wird er dafür ausgeschimpft und mit Steinen beworfen. Nach solchen Erfahrungen kommt man ohne Ironie nicht mehr hin. Das zeigt schon sein erster Brief an die Angehörigen nach Kriegsende, in dem er sein Martyrium beschreibt: »Laut der Genfer Konvention brauchen Offiziere und Unteroffiziere nicht zu arbeiten, wenn sie gefangengenommen werden. Ich bin, wie Ihr wißt, Gefreiter. Am 10. Januar wurden hundertfünfzig solcher minderen Wesen nach Dresden in ein Arbeitslager geschafft. Aufgrund meiner geringen Deutschkenntnisse war ich ihr Anführer. Es war unser Unglück, sadistische und fanatische Aufpasser zu haben … Nachdem ich zwei Monate lang verzweifelt versucht hatte, unsere Lage zu verbessern, und bei den Aufpassern nur auf verbindliches Lächeln gestoßen war, sagte ich ihnen, was ich mit ihnen machen würde, wenn die Russen kämen. Sie schlugen mich ein bißchen zusammen.« Am Ende zieht er Bilanz. »Wenn ich zu Hause bin, bekomme ich einundzwanzig Tage Erholungsaufenthalt in Attenbury, etwa $600 ausstehenden Sold und – stellt Euch das vor – sechzig (60) Tage Urlaub!«

Hier äußert sich bereits der Schriftsteller, der er dann werden mußte. Alles andere war ein Mißverständnis. Sein Sohn Mark erzählt im kongenialen Vorwort die kurze Episode Vonneguts als Journalist bei Sports Illustrated. »Er erschien zur Arbeit und wurde gebeten, einen kurzen Text über ein Rennpferd zu schreiben, das über einen Zaun gesprungen war und versucht hatte wegzulaufen. Kurt starrte den ganzen Vormittag auf das leere Blatt Papier und tippte dann: ›Das Pferd sprang über den Scheiß-Zaun.‹ Danach ging er weg und war wieder selbständig.«

Man wird sich jetzt wohl an Mark Vonnegut halten müssen. Wenn man das Vorwort liest, wird man den Eindruck nicht los, als habe der Alte einfach die Feder weitergegeben: der gleiche knochentrockene, uneitle Witz, pragmatische Moralismus – und immer die richtigen Ansichten. Echte Sympathen, diese Vonneguts.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg