Humorkritik | Februar 2009
Februar 2009
Es muß nicht immer Grabbe sein
Brecht müßte begeistert sein über die vielen V-Effekte, wenn er denn noch begeistert sein könnte. Ein Löwe tritt auf und verkündet, kein Löwe zu sein, sondern nur ein Schauspieler, der einen Löwen spielt, und hat sich, damit kein Zweifel an der Fiktionalität aufkommt, als Fell einen grünen Rock umgewickelt. Die nächtliche Landschaft wird von einem Akteur dargestellt, der sich einen Busch um den Leib gebunden hat und eine Laterne an einer Stange auf- und niederschwenkt, um Auf- und Untergang des Mondes vorzuführen. Ein dritter gibt mit der Gießkanne in der Hand einen Brunnen, ein vierter macht auf der Bühne die Wand, durch die hindurch ein Liebespaar miteinander tuschelt, dessen weiblicher Part wiederum von einem bärtigen Mann gespielt wird. Was aussieht wie eine Parodie aufs moderne Regietheater, ist in Wahrheit 350 Jahre alt: Es handelt sich um das barocke Lustspiel »Absurda Comica oder Herr Peter Squenz« von Andreas Gryphius, erstmals gedruckt: 1658.
Dessen Titelheld, der Dorfschulmeister Squenz, will mit den künstlerisch ambitionierten Handwerkern seines Ortes »eine jämmerlich schöne Komödie tragieren«. Indem sich jeder vornimmt: Ich »muß das Spiel zieren wie die Bratwurst das Sauerkraut«, gelingt es ihnen, ein Drama um den tragischen Selbstmord zweier Liebenden – wobei der Mann antikisch Piramus heißt, was prompt zu »Birnenmost« verballhornt wird – in eine kugelrunde Burleske zu verwandeln, in der ein Einfall den anderen jagt. Da schleudert Herr Squenz den Zuschauern gleich als erstes eine »Gute Nacht« zur Begrüßung an den Kopf; die Geliebte namens Thisbe seufzt: »Ach, Piramus, du edle Haut, / Wie hast du mir das Herz zerhaut!« und zieht Amors Pfeil ihrem angebeteten Schatz aus dem Allerwertesten; der Geliebte wiederum beklagt sich bitter über die Wand, die ihn von der Braut trennt, weshalb die Wand vor Ärger auf Piramus einschlägt und sich beide prügelnd über die Bühne zerren. Regieanweisungen werden mitgesprochen, ein Toter ergreift das Wort, der Löwe miaut, und als Piramus seine Thisbe vom Untier gefressen wähnt, stöhnt er: »Ein grimmes Tier hat sie erbissen / Mir ist, als hätt ich in die Hosen gesch…«
Das Ganze wäre nun schon als bloße Verhohnepipelung des Laientheaters und der künstlerisch abgelebten Meistersingertradition der Handwerker, auch als Satire auf antikisierenden Schwulst oder hochgestochenes Gerede gut genug. Allein die absurde Aufführung rundet sich zum Welttheater, denn das schöne Gemurkse findet vor den Augen einer feinen Hofgesellschaft statt, die dieses Spiel im Spiel mit neckischen Kommentaren verziert, ja es wird zur Weltkomödie, in der, wie in Gottes großem Zoo, alles seinen Platz hat, gerade auch das Alberne und Mißlungene – denn sind wir nicht alle ein bißchen squenz?
Es muß also nicht immer Kleists »Krug« oder Grabbes »Scherz, Satire usw.« sein, es ist auch nicht nötig, erst bei Ovid nachzugucken, der den Piramus-und-Thisbe-Stoff in die Weltliteratur gepflanzt hat, oder Shakespeare zu übersetzen, der daraus ein Zwischenspiel für seinen »Sommernachtstraum« gebastelt hat. Sondern der »Peter Squenz« von Andreas Gryphius tut’s auch so; für die Germanisten, die Freude an barocker Orthographie und Lautung haben, in der originalgetreuen Ausgabe bei Reclam, herausgegeben von »Philip-Gregorio Riesentod« (alias Gryphius), für alle anderen, die einfach keckern wollen, genügt die modernisierte Ausgabe ebenda.