Humorkritik | Februar 2009

Februar 2009

Biller vs. Bernhard

»Das Arschloch Thomas Bernhard, und das sage ich, obwohl ich ungern schlecht über Tote rede, das Arschloch Bernhard hat ziemlich sicher nur ein einziges gutes Buch geschrieben. Dieses Buch erscheint erst jetzt, obwohl er es schon 1980 geschrieben hat, und es zeigt, was für ein Arschloch er war, und vielleicht wollte er darum nicht, daß es erscheint, solange er noch lebte – und wenn ich wollte, könnte ich in diesem einschläfernden, alles und nichts sagenden Thomas Bernhard-Ton endlos weitermachen, denn nichts ist einfacher, als so zu schreiben, ich meine, gedankenlos einen Satz an den anderen zu hängen« – es besteht ja keinerlei Verpflichtung, Thomas Bernhard für einen Jahrhundertschriftsteller zu halten, und nichts gegen eine nach allen Regeln der Kunst zelebrierte Autorenbeschimpfung. Aber warum die FAS dem Systemclown M. Biller eine ganze Feuilleton-Startseite einräumt, nur damit er Bernhard, nach einem glanzvoll mißglückten Versuch in Bernhard-Parodistik, anläßlich des jüngst erschienenen Bandes »Meine Preise« (Suhrkamp) mit der notorischen Verve »Arschloch«, »Heuchler«, »Doppelmoralist«, »auch sexuell ein Heuchler«, »opportunistischer Kaffeehaus-Schreihals«, »Oberheuchler« bzw. »verlogener Held« nennen kann, weil dieser Preise zwar haßte, sie aber annahm und überdies »weltabgewandte Un-Literatur« geschrieben habe, so wie Hölderlin, Thomas Mann (!) und R. Goetz eben auch – das wüßte man dann doch gern.


Vielleicht eine Art Hyperrealismus à la Bernhard? Biller, den Heuchler zitierend: »›Was wir veröffentlichen …, ist nicht identisch mit dem, was ist, die Erschütterung ist eine andere, die Existenz ist eine andere.‹ Wenn Saul Bellow, Denis Johnson oder Pasternak das hören, würden sie nicht glauben, daß es eine Sprache auf der Welt gibt, in der man sich trauen kann, ein solches irreguläres, unehrliches, dämliches, ängstliches, amateurhaftes Literaturkonzept zu formulieren, ohne vom Podium verjagt zu werden.«


Daß Biller ein ständig mit seinem Judentum kokettierender (»ich, ein nicht ganz so deutscher Dichter und Denker«), eminent witzloser (im strengen Gegensatz zum Arschloch Bernhard) und überhaupt ziemlich regulärer Angeber und alternder Angry-Young-Man-Luftsack ist, war bekannt; doch soviel Selbstentblößung war nie: »denn ich selbst bin alles andere als ein Mitläufer mit geballter Faust in der Tasche«, nämlich einer, der seinen weltzugewandten New-Journalism-Quark regelmäßig in das unangepaßte Blatt rührt, das im Politikteil enthusiastisch »das Grauen von Gaza« ausmalt und seinen Weinverkoster ohne Umstände das Nazi-Wort »aufnorden« gebrauchen läßt; einer, dessen Literaturkonzept über Journalismus kaum je hinausgeht und der also auch Ror Wolf, Flann O’Brien und J.L. Borges für weltabgewandte Arschlöcher halten dürfte; und der beschränkt genug ist, den Verteidigern seines verbotenen »Esra«-Romans, die Literatur als per se eigene und mit dem Leben nicht ohne weiteres abgleichbare Sphäre bestimmten, post festum noch in den Rücken zu fallen: Was ich veröffentliche, ist identisch mit dem, was ist.


Und soweit es den zeitgenössischen Hang zum ungut Krakeelenden betrifft, stimmt das ja auch.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick