Humorkritik | August 2009

August 2009

Ludische Lachkraft

Ab und an schaue ich mich in der Linguistik um und sehe nach, ob und, wenn ja, was die Kollegen Akademiker zu den Themen Komik, Humor, Witz usf. zu sagen haben. Viel ist da nicht zu holen. Der Romanist Hans-Martin Gauger, einer der wenigen Zunftvertreter, die schreiben können, gibt denn auch zu, daß sich die Aufgeschlossenheit seiner Branche gegenüber Scherzen und Artverwandtem in in Grenzen halte.

Harald Weinrich, ein ähnliches Kaliber wie Gauger und Autor des nach wie vor empfehlenswerten Traktats »Linguistik der Lüge« (Heidelberg 1967), kümmert sich in seiner mehrfach aufgelegten »Kleinen Literaturgeschichte der Heiterkeit« (München 2001) um die herausragende Stellung der Heiterkeit in der deutschen Dichtung und deren »äußerste Bedeutungsfülle«, welche dieselbe, na klar, bei Goethe und Schiller erhalten habe. Olympische Heiterkeit als »weltliches Evangelium« (Goethe) und bekanntermaßen von Schiller dem ernsten Leben entgegengestemmte »idealische Reinheit und Vollendung der Dichtung« (Wallenstein-Prolog: »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst«, jo mei) – es ist eben der alte fade Beflissenheitsstiefel, der vom homerischen Lachen über die beiden Weimarer Klopper, Hölderlins göttlich-heitere Beseelung und Kants »geschmackvolle Fröhlichkeit« im Zuge seiner Königsberger Kaffeekranzschnabeleien bis zu Wagners »erhabener Heiterkeit des Ernstes« sowie, es darf nicht anders kommen, Thomas Manns angeblicher »unerschütterlicher Heiterkeit« fürbaß schreitet. Daß Weinrich von der komischen Kunst jenseits des universitär Kanonischen und anderen Gestalten resp. Formen der Erheiterung keine Notiz nimmt und am Ende Adornos »Heiterkeitsverbot« und Sloto Sloterdijks »Erheiterungsarbeit« ventiliert, wundert mich dann auch nicht mehr.

»Vor allen Dingen vergesse man nie, daß die Leute unterhalten, amüsiert sein wollen«, verfügte der Baron Knigge. Das nimmt sich Hans-Martin Gauger in dem Band »Das ist bei uns nicht Ouzo – Sprachwitze« (München 2006) durchaus zu Herzen und unterbreitet fundiert und vergnüglich sprachwissenschaftliche Erkenntnisse über Witztechniken und -charakteristika wie Doppelsinn, Polysemien, Homonymien (insbesondere im Französischen), Stilbrüche, Übertreibungen etc. Gegenüber dem »Sachwitz«, erläutert Gauger, zeichne sich der »Sprachwitz« durch ein geschärftes reflexives Bewußtsein aus, erzeugt werde er durch gezielte sprachliche Normverletzungen (orthographische Verhunzung, grammatikalische Mehrdeutigkeiten, Wortkontaminationen und -mischungen, dialektale Bildungsfehler, Lautvertauschungen, falsche Fremdwortverwendung usw.). Soweit alles schön und aufschlußreich; richtig neu war mir allerdings, daß ausgerechnet die drögen Schwaben die Meister des selbstironischen Alberns sind (und keine Witze über die Badener machen!), während eine solch humane Attitüde unter den Bayern, den Berlinern, den Kölnern nicht zu finden ist.

Die von Gauger zusammengestellten »klassischen und neuen Sprachwitze« indessen sind mehrheitlich erschütternd bieder und behämmert, krampfhaft ausgetüftelte Unbeholfenheiten, schwer dämliche Pennälerrohrkrepierer, unerträgliche Spießerschlaumeiereien und schlafmützige Akademikeranekdoten, denen es äußerst stark am »Ludischen« (Gauger) und an der »Lachkraft« (Freud) mangelt und unter denen mir allenfalls fünf, sechs halbwegs zu gefallen vermögen, etwa dieses Exempel: »Ein Wiener möchte auf der Post einen erwarteten postlagernden Brief abholen. Der Beamte fragt: ›Poste restante?‹ Darauf der Wiener erschrocken: ›Nein, nein, katholisch.‹« Eben.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster