Humorkritik | August 2009

August 2009

Gute Nacht, Late Night

Conan O’Brien, der aufgedrehte, kieksende Schlacks mit der auffälligen Tolle, ist nun Moderator der legendären NBC-»Tonight Show«, der seit 1954 und damit am längsten laufenden amerikanischen Late Night Show, deren Relevanz in der amerikanischen Populärkultur ungefähr der von »Tagesschau« und »Wetten, dass..?« zusammengenommen entsprechen dürfte, und somit ein Nachfolger des Genre-Übervaters Johnny Carson. Entsprechend nervös und wie von sich selbst berauscht zeigte O’Brien sich in den ersten Sendungen und scherzte: »Als Kind habe ich Johnny Carson gesehen und dachte: Das will ich auch mal machen. Ich vermute, auch heute sitzt irgendwo ein Kind vor dem Fernsehgerät und denkt: Was sind das für Haare an dieser Frau, und wieso heult sie die ganze Zeit?«

Darin steckt einiges an Wahrheit: Die fast magische Wirkung der Show Carsons, die angeblich über Jahrzehnte allmorgendlich den Small Talk in amerikanischen Büros beherrschte, läßt sich nicht mehr erreichen. Dafür ist das Format zu alt und in ihm alles Erdenkliche ausprobiert. Weil Conan O’Brien das weiß, hat er auch fast das komplette Team seiner vorherigen Show mit nach Los Angeles gebracht und mit ihm die bewährten, höchst Youtube-kompatiblen Segmente. Dies dürfte ihn einiges an Zuschauern kosten, die sein direkter Vorgänger Jay Leno mit einem soliden Witzeonkel-Stil als größtmöglichen Kompromiß zwischen Jung und Alt, Komik und Ringelpiez regelmäßig um halb zwölf vor den Fernseher holen konnte. Da Leno aber nicht in Rente gegangen ist, sondern bald eine Stunde früher, also direkt vor O’Brien die mittlerweile vierte gleichförmige Sendung im NBC-Abendprogramm moderieren darf, verliert man den Überblick. Mindestens sieben klassische Late-Night-Shows konkurrieren um Zuschauer und Gäste. O’Brien hat sich bereits beschwert, daß Leno ihm wohl die großen Stars wegnehmen werde.

So stirbt das Format in seiner festgefahrenen Struktur trotz Personalrochaden einen langsamen Tod durch Überangebot. Einen Ausweg aus der Tristesse des Immergleichen bieten allenfalls Late-Night-Derivate wie die »Daily Show«, die dank Jon Stewart auch ohne die Feindbilder Bush und Cheney noch immer regelmäßig komische Höhen erklimmt und mit ihrer kompakteren Struktur und der Konzentration auf Sachthemen bei der Gästeauswahl der Oberflächlichkeit der klassisch gehaltenen Sendungen entgeht. Noch konsequenter betreibt dies Bill Maher mit seiner wöchentlichen Show »Real Time«, die er zwar pointenwillig, aber primär mit aggressiven politischen Standpunkten bestreitet und die Gesprächsrunden nur noch mit einem komischen Monolog und der meist gelungen Rubrik »New Rules« einrahmt.

Doch selbst in ihrem Niedergang leistet die amerikanische Late Night noch etwas, von dem man hierzuland nur träumen kann: Sie bringt ständig neue komische Talente hervor; zuletzt den extrem witzigen Craig Ferguson, einen geborenen Schotten und gelernten Alkoholiker, der auf CBS die »Late Late Show« nach David Letterman moderiert und der sogar dann komisch ist, wenn er sehr ernste und souveräne Moralpredigten hält. Ein Vorbild mit Witz eben. Doch wer wollte schon ernsthaft einem Raab, Pocher, Welke oder dem unerträglich lustlosen Schmidt nacheifern?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster