Humorkritik | April 2009

April 2009

Kinderkrankheiten

Selten äußere ich mich über die komplexe Welt der Poetry Slams; die Regeln der Branche sind höchst arkane, und derjenige, der ihre Produkte nicht nach ihren Maßstäben beurteilt, wird schnell ungerecht. Doch beim Darling des Betriebs, bei Sebastian23, will ich ausnahmsweise ein bißchen genauer hinsehen. Allein schon der Presseerklärung halber, die seine Ende April erscheinende Gesangsplatte »Ein Lied und elf Lieder« anpreist. Nicht nur, weil meine freundschaftliche Kurzrezension aus TITANIC 01/08 dort als der reine Lorbeer gehandelt wird, sondern vor allem, weil sie sich liest wie die Biographie eines Tennisprofis. Ist doch der Slammer inzwischen nichts weniger als »deutschsprachiger Meister (2007), Vize 2007 (Einzel), Vizeweltmeister 2008, deutschsprachiger Meister 2008 (Einzel), Vize 2008 (Team)«.

Zwar muß das Anhäufen solcher Verdienste nichts per se Verwerfliches sein. Doch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, hier sei die Sphäre anarchisch-jugendlicher Ausprobierkunst schon durch dröge Vereinsmeierei, Hierarchiedenken und Hochleistungslogik tingiert. Ein Eindruck, der sich verstärkt, wenn sich Sebastian23 in Interviews zwar einerseits als »zerrissene Künstlerseele« sieht, zugleich aber höchst professionell darlegt, daß »die Szene« »ihre Kinderkrankheiten abgelegt« habe.

Die neue CD jedenfalls ist schön durchkomponiert und läßt sich glatt weghören. Doch selbst über den lustig gemeinten Liedern liegt das schwere Pathos wie Firnis – als habe man es mit einem Alterswerk zu tun. So etwa in dem Song »Kunststück«: Die Zeile »Das Leben ist doch keine Kunst, nur weil ich das kann« nervt schon durch jenes peinvoll geschlossene E im Léeeben, das sich auf Kleben reimt und an längst beerdigt geglaubte Liedermacher-Inbrunst erinnert. Überhaupt die Texte! Ist es überzeugend, wenn ein mehrfacher Meister im Hundertmeter-Freistil der Hallen-Herren immer wieder sein vorgebliches Unvermögen zum Thema macht? »Das Lied klingt einfach nicht so supertoll« heißt es in »Singen und Gitarre spielen«, und »Ach wenn ich nur ein bißchen toller wär« im Song »Konjunktiv«; in »Faul und Schlau« hört man sogar: »Drum laß ich auch das Texten lieber sein / denn Reden ohne Denken ist ein Schwein«. Wenn das Ablegen von Kinderkrankheiten auf Manierismus hinausläuft, will man doch lieber wieder die kranken Kinder singen hören.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster