Humorkritik | April 2009

April 2009

Blendend blond

75 Jahre alt wäre er dieses Jahr geworden, der mächtigste Hund der Welt: Blondi, des Führers ganzer Stolz und einzige Freude. Ihr verdanken wir unsterbliche Anekdoten – und nicht zuletzt einige der sentimentalsten (und durchaus komischen) Passagen in Joseph Goebbels’ ansonsten haarsträubenden Tagebüchern. Im Mai ’42 wurde Blondi angeschafft und sofort in den Generalsstab integriert – und damit auch in die Lagebesprechung zu Stalingrad, wie Goebbels rapportiert: »Kurz nach meinen ersten Besprechungen werde ich dann auch schon zum Führer gebeten, der mir den Vorschlag macht, mit ihm zusammen den ersten Morgenspaziergang duch die Anlagen des Hauptquartiers zu machen. Nur sein Hund Blondi begleitet uns; sonst sind wir unter vier Augen, so daß ich gleich anfangen kann, auszupacken«; mit dem Neuesten von der Heimatfront, versteht sich. »Der Führer sieht gesundheitlich ausnehmend gut aus. Wie er mir erzählt, bekommt ihm sein morgendlicher Spaziergang mit seiner Hündin Blondi außerordentlich gut.« Zuvor war es dem mütterlich, ja geradezu gluckenhaft gestimmten Propagandaminister nämlich als durchaus »tragisch« erschienen, »daß der Führer sich so vom Leben abschließt und ein so unverhätnismäßig ungesundes Leben führt. Er kommt nicht mehr an die frische Luft.« Mit Blondi wurde alles besser. Fast ungläubig betont Goebbels, der Führer sehe »blendend« aus, »frisch«, ja sei »aufgekratzt«. Der wunderbare Spielkamerad, den heutige Veterinärpsychologen völlig uncharmant als überdressiert und gebrochen analysieren, weckte in dem doch ziemlich abgewrackten Hitler wohl Erinnerungen an den Jugendfreund und Terrier Foxl, vor allem aber neue Lebensgeister: »Sein Spiel mit diesem jungen Schäferhund ist geradezu rührend. Das Tier hat sich so an ihn gewöhnt, daß es ohne ihn fast keinen Schritt mehr macht. Es ist sehr schön, den Führer mit seinem Hund zu beobachten. Er schläft nachts vor seinem Bett, es wird im Sonderzug in seine Schlafkabine hineingelassen und genießt dem Führer gegenüber eine ganze Reihe von Vorrechten, die sich ein Mensch niemals herausnehmen dürfte und könnte.«

Daß Blondi dem geliebten Hundeführer auch in ein besseres Jenseits vorangehen und als erstes von der Giftkapsel kosten durfte – dazu findet sich bei Goebbels leider kein Beleg. Doch möchte mir Blondis Jubiläum Anlaß sein, die Tagebücher auf gleichrangig bizarre, die komikträchtige Nähe von Bösem und Banalem ausleuchtende Stellen zu untersuchen. So wird etwa der an einem Nierenstein erkrankte Goebbels von den Freunden zärtlich umsorgt: »Es ist rührend, wie der Führer, Göring, Ley und Speer und alle anderen sich um meinen Zustand bemühen und kümmern. Ley hat mir unterwegs nach der Tagung Blumen gepflückt, um sie mir ins Abteil zu schicken.« Die Verbrecherbande vom Berghof als blumenpflückende und gassigehende Kretins – das macht einem alten Hundefreund wie Ihrem Hans Mentz doch einige Freude. Vielen Dank dafür, Blondi!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster