Humorkritik | Juli 2008

Juli 2008

Unergründliche Kalauerfestspiele

So laut gelacht, daß die Nachbarn an die Wand donnerten, hab ich jüngst bei der Wieder­-Lektüre von Curt Bois’ »So schlecht war mir noch nie« (Athenäum Verlag, 1984) – eines Textes von gerade mal 27 groß bedruckten Seiten, der vom Verlag durch Zugabe vieler Fotos zum 90seitigen Bilderbuch aufgebläht wurde. Eine Veröffentlichung, die Bois (1901-1991) seinerzeit zu ausgedehnten Lesereisen genutzt hatte. Mitte der achtziger Jahre tingelte der damalige Mittachtziger durch die Republik, ein ewig lebhafter Herr, Ex-Kinderstar, Ex-Hollywoodschauspieler und Ex-Hauptdarsteller der renommiertesten Berliner Bühnen, dem gleichwohl, und trotz seines markanten hugenottischen Nach­namens, der Status eines A-Prominenten allzeit erspart blieb.

 

Bois, als freilich hochpotenter Komiker, dokumentiert Mitte der sechziger Jahre seine Zusammenkünfte mit dem damaligen Studenten Wolfgang Deichsel (der bald darauf als Dramatiker reüssierte und bis heute ­reüssiert) und die rastlose Arbeit an zwei Projekten. Da sollen einerseits ein Kalauerverein gegründet und Kalauerfestspiele durch­geführt werden: »Wer Kalauer machen will, muß 5 DM Beitrag bezahlen. Korn hat an­geblich kein Geld bei sich. Er und Deichsel ­reißen ununterbrochen Witze. Auch der ­Kellner, der mich in einem Film gesehen hat, will unter­haltend sein. Bei jedem Bier, das er auf den Tisch stellt, erzählt er gastronomische Anekdoten. Ich bringe das Gespräch auf Käthe Kollwitz. Mein Angebot, eines ihrer gezeichneten Elendskinder zu demonstrieren, wird angenommen. Der Oberkellner muß das schnell abgelegte Jackett, Ober- und Unterhemd halten. Ein gewöhnlicher Servierkell­ner hält meine Brille. Ich lasse den Bauch über den Gürtel hängen und blicke das Menü eines eleganten Paares an. Erfolg bei meinen Freunden, Unruhe an den übrigen Tischen. Die ­Kellner helfen mir eilig in meine Kleider.«

 

Andererseits gilt es, eine Anekdotensammlung anzulegen, um ein Schiller-Schallplattenprojekt, das Bois zugesagt hat, vor Drögheit zu retten – jeweils zwischen zwei Schillerballaden will Bois eine Anekdote zum besten geben: »Da Deichsel, wie er sagt, gewisse Zuspitzungen mit Professor Korns Person vorgenommen hat, schlägt er die Wahl eines Pseudonyms vor. Professor Rosen könnte man ihn nennen, meint er. Ich bin eher für Winter. Er nacheinander für Reichel, Wauschke, Watzak, Greinert, Kutscher. Ich nacheinander für: Müller, Meier, Perseke, Richthofen, Schulz. Wir holen das Telefonbuch. In die engere Wahl kommen: Brusendorf, Bubbel, Dolpp, Franzki, Grob, Menderez, Hurtig, Bratt-Zabel, Mamlock, Opatz, Frauenverein, Reckziegel. Wir entscheiden uns für Winter.«

 

Selbstverständlich sind beide Projekte zum Scheitern verurteilt – und dazu, zum um so strahlenderen Gelingen des Tagebuchausschnitt-Büchleins beizutragen. Und da es dem Buch erspart blieb, A-Bestseller zu werden, läßt es sich günstig aufstöbern: Bei Amazon beginnen die Angebote bei 3,95 Euro.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg