Humorkritik | Januar 2008

Januar 2008

Python-Philologie

Pünktlich zum achtunddreißigsten Geburtstag ist – endlich – eine sieben DVDs umfassende, ansprechend gestaltete Box mit sämtlichen fünfundvierzig, zwischen dem 7. September 1969 und dem 16. ­November 1974 entstandenen Folgen von Monty Python’s Flying ­Circus erschienen (Sony Home ­Entertainment). Alle vier Staffeln im Original, dazu die hilfreiche Option, Unter­titel in diversen relevanten Sprachen von ­Arabisch bis Deutsch zu aktivie­ren (­wenngleich in letzterem Fall – und nur den kann ich beurteilen – nicht stets hin­reichend ­exakt ­Tempus-, Modus-, syntaktische und lexikalische Feinheiten wiedergegeben werden) – mehr braucht es im Grunde nicht, obwohl ich ein informativeres Booklet begrüßt hätte, in dem nicht bloß die Produktionsdaten in zudem unlesbarer spiralförmiger Anordnung abgedruckt worden wären. Wer nämlich dem unter Fans verbreiteten Vergnügen frönen möchte, rasch seine zwei, drei Lieblings­sketche zu gucken, muß geduldig durch die Menüs wandern oder im Netz ­einen Episodenführer konsultieren.

 

Ich bin seit über zwanzig Jahren ein recht ordentlicher Kenner des Wunderwerks der britischen Komikertruppe, die »die Welt der Unterhaltung für alle Zeiten auf den Kopf gestellt hat« (Steve Martin). Deshalb habe ich nicht noch mal gezielt die Klassiker von »Dead Parrot« bis zu »The Spanish Inquisition« inspiziert, sondern diesmal den Selbstversuch unternommen, vorne anzufangen und zu schauen, wie lange ich durchhalte.

 

Ziemlich lange. Die erste Staffel mit dreizehn Folgen, das sind sechseinhalb Stunden, hab’ ich ohne jede Ermüdungserscheinung geschafft, und zwar nicht selten staunend und begeistert, als hätte man mir all den ­mirakulösen Wahn- und Irrsinn, all die ­rasanten Ortswechsel und Zeitsprünge, all die Hybriden aus Stilen und Sprechweisen, all die unverschämt brillanten schauspie­ler­ischen Momente, all das dreiste Gekasper und selbstreferentielle Tohuwabohu zum ­erstenmal vorgeführt, all die Späße, die sich das Sextett mit dem damals äußerst verschnarchten Medium Fernsehen, mit sämt­lichen gesellschaftlichen Gruppierungen von der Upperclass bis zum britischen Bauernstand, mit den verrückten Völkern dieser Erde (beispielsweise den Franzosen, »die können gut denken«, und den noch ­intelligenteren Deutschen) und schließlich mit dem Leben an und für sich erlaubt hat.

 

Mit Dschingis Khans berühmtem Tod hebt die herrliche Chose an, begann neues Leben im Kosmos der Komik, und ich war verblüfft, wie mich etwa die nächste Nummer, »Italian Lesson« – über einen Volkshochschulkurs ›Italienisch für Italiener‹ –, aufs neue entzückte, ja hinriß, desgleichen das legendäre Interview mit dem Kinoregisseur Edward Ross (»It’s The Arts«), in dem der unerreichbare John Cleese als aufdringlicher Snob glänzt, oder Terry Gilliams ­surreal-parodis­tische Animationsclips. Schon in der zweiten Episode waren Ansätze zu »Silly Walks« zu sehen, und in der dritten mit dem fabelhaften Titel »How To Recognise Different Types Of Trees From Quite A Long Way Away« ­liefen Monty Python in der vollkommen über­drehten Form auf.



Das Python-Universum aus Beschimpfung, Sinnsabotage und Selbstdemontage, Uz und Nonsens, Erwartungsverfehlung (»Dieser Sketch wurde abgebrochen«) und Formübersteigerung, Persiflage und Polemik, Spott und Scherz, sprachreflexiven Kapriolen (mein augenblicklicher Favorit: der Mann, der in Anagrammen spricht) und leitmotivischen (Tier-)Figuren ist bis heute nicht annähernd erschöpfend erforscht. Und längst gibt’s noch nicht alles auf einmal. Auch hier fehlen die 1971 und 1972 vom Bayerischen Rundfunk produzierten »German Episodes«, ebenso wie sie in der jüngsten Riesenabgreifschachtel »Monty Python Monster Box Set« fehlen, die zwar ein T-Shirt und einen Plastikpapagei mitliefert, jedoch keine hilfreichen Untertitel. Die Python-Philologie steht also erst am Anfang. Zur vorläufigen Orientierung darf ich auf die Website http://web.ukonline.co.uk/sotcaa/sotcaa_python.html?/sotcaa/pythonpages hinweisen, und im Hinblick aufs vierzigjährige Jubiläum 2009 wird das historiographische Unternehmen, wer weiß, womöglich und vielleicht einen dann ja evtl. gewaltigen Schub erleben.

 

Und jetzt aber zu etwas völlig anderem.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mahlzeit, Erling Haaland!

Mahlzeit, Erling Haaland!

Zur Fußballeuropameisterschaft der Herren machte erneut die Schlagzeile die Runde, dass Sie Ihren sportlichen Erfolg Ihrer Ernährung verdankten, die vor allem aus Kuhherzen und -lebern und einem »Getränk aus Milch, Grünkohl und Spinat« besteht.

»Würg!« mögen die meisten denken, wenn sie das hören. Doch kann ein Fußballer von Weltrang wie Sie sich gewiss einen persönlichen Spitzenkoch leisten, der die nötige Variation in den Speiseplan bringt: morgens Porridge aus Baby-Kuhherzen in Grünkohl-Spinat-Milch, mittags Burger aus einem Kuhleber-Patty und zwei Kuhherzenhälften und Spinat-Grünkohl-Eiscreme zum Nachtisch, abends Eintopf aus Kuhherzen, Kuhleber, Spi… na ja, Sie wissen schon!

Bon appétit wünscht Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster