Humorkritik | Januar 2008

Januar 2008

Wilde Sache

Ob die »20er Jahre mehr Sinn für Komik hatten als unsere Epoche«, lasse ich mal dahingestellt und verbuche diese Behauptung als Werbethese des Bonner Weidle Verlags, der einiges dafür getan hat, sie mit entsprechenden Büchern zu belegen. Etwa mit Hermann Essigs Roman »Taifun« (TITANIC 3/1998) oder Artur Landsbergers leider sehr prophetischer Groteske »Berlin ohne Juden«, die sinnigerweise 1925 erschien – im selben Jahr wie Hitlers »Mein Kampf« – und die Konsequenzen von dessen Antisemitismus satirisch vorwegnahm. Daß Landsberger deren Opfer wurde und am 4.10.1933 Selbstmord beging, ist eine makabre Pointe, wie sie das 1876 geborene jüdische Multitalent selbst kaum hätte ersinnen können.

 

All dies Düstere lag Landsberger lange fern. Er war ein Salonlöwe und Weltenbummler, betätigte sich als Filmproduzent, Regisseur, Schauspieler, Redakteur und schrieb emsig Glossen, Rezensionen, Drehbücher und allein 27 Romane, die ihn vor dem Ersten Weltkrieg reich und berühmt machten – und heute vergessen sind. Was verständlich ist, denn das Gros sind rasch heruntergefatzte Unterhaltungsmachwerke.

 

Landsberger konnte aber mehr, nämlich richtig komisch sein. Seine nun wieder aufgelegte Verwechslungs- und Kostümklamotte »Liebe und Bananen« von 1927 trägt den korrekten Untertitel »Eine wilde Sache«. Deren Plot zu referieren sprengt den Rahmen des Humorkritikermöglichen; vielleicht läßt er sich, eine zeitgenössische Rezension zitierend, so zusammenfassen: »Polizei, Putsch, Blamage, Happy-End.« Eine Filmcrew will einen Streifen drehen, in dem es einerseits um eine Berlin-Hamburger Bananen-­Importfirma mit Liquiditätsproblemen, andererseits um einen Bananenplantagen­besitzer und dessen Tochter geht, die … Vergessen Sie’s. Es ist ja alles nur Anlaß für vielerlei Klamauk, für burleske Parodien auf ein angeblich auf dem Vulkan tanzendes Zwanziger-Jahre-Berlin, auf die Trivial­romane und -filme, die dieses zum Mythos machten, für betont hölzern angelegte ­Kasperle-Karikaturen berühmter Filmstars und alle mög­lichen Typen und Klischees. Der Kolportage-Reißer wirkt noch heute, weil ihn putzige Zeitgeistaccessoires schmücken, von »der Schupo« über den »Sportsman« zum »photographischen Apparat«, weil er in kühn verfremdenden Schnitten die Ästhetik der jungen »Kinematographie« in Literatur zu übersetzen versucht und weil er in einer brachialen Weise mit ­Logik und ähnlichem Quatsch umspringt wie ein Ahne sagenwirmal Helge Schneiders.

Nach einer Werkausgabe zu rufen liegt mir fern; wenn jedoch in Landsbergers ­Œuvre noch ähnlich süße Früchte lagern wie »Liebe und Bananen«, dann her damit. Denn die immerhin sind knorke.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster