Humorkritik | Januar 2008

Januar 2008

Die Waffen der Kunst

Obwohl ein »Eiserner Vorhang« im Theater heute wohl kaum mehr gebraucht wird, bietet es sich an, das Treiben vor, auf und vor allem hinter einer ostdeutschen Bühne als Gleichnis für das Leben in der DDR zu beschreiben. Matthias Biskupek, der in den siebziger Jahren Naturwissenschaften studierte, bevor er zum Theater Rudolstadt ging, erzählt in »Eine moralische Anstalt« (Eulenspiegel Verlag), wie sich der Mathematiker Matti bei einer thüringischen Provinzbühne bewirbt. Nachdem der den Aufnahmetest bestanden hat (Chefdramaturg: »Ich hätte jetzt Lust auf einen Kaffee, was schlagen Sie vor?« Bewerber: »Wir gehen ins ›Café Zentral‹, lassen uns einen servieren, und Sie bezahlen«) wird er als Regieassistent mit Spielverpflichtung für brutto 630 (Ost-)Mark eingestellt und Zeuge vielfältiger Ränke und Kabalen. Das »Angsampl« ist ­detailliert gezeichnet, bei den Frauen­gestalten überwiegen horizontale Striche. Wer sich im Drama auskennt, weiß, daß dies – von Ausnahmen abgesehen (Tschechow, Schiller, García Lorca) – der Frauen Schicksal auf den Brettern ist.

 

Ein neuer Oberspielleiter kommt, er will ein Stück des polnischen Dramatikers ­Tadeusz Róz·ewicz aufführen und frischen Wind in den Laden bringen. Die Partei hält das hoffnungslos überbesetzte Theater wg. Bildungsanspruch (»Kunst ist Waffe«) am ­Leben, vermutet aber hinter jeder neuen Idee erstmal Subversion. Das ruft die Staatssicherheit auf den Plan. Den Stil der IM-Berichte imitiert der Autor mit Hingabe: »Auf den ­Proben wurde die italienische Schauspielerin Sophia Loren erwähnt, die sich bekanntlich von ihrer einstmals klassenmäßigen Position im Rahmen der italienischen KP auf ­einen Eurokommunismus zurückgezogen hat, ­welcher auch von polnischen Dramatikern gepflegt wird, was den verräterischen Bogen bis zum derzeit in der Diskussion stehenden Stück … schlägt.«

 

Bald vergiften Mißverständnisse und Verdächtigungen die Atmosphäre an der Provinzbühne. Es gibt jede Menge Sitzungen und Konferenzen, bei denen viel ge­redet, aber nie die wahren Probleme besprochen werden. Doch nicht nur im Osten hat man unter dem Provinztheater gelitten, was im Roman der Theaterkritiker Dr. Claudius ­Stapelmayr (Frankfurt am Main) erläutert: »Man konnte doch in unserem Frankfurt überhaupt kein Theater machen, wenn man nicht aus Sachsen kam. Dieser ganze nachwirkende Brecht-Klüngel. Vorgangstheater. Gestischer Duktus. Das war ein Duckdich vor der SED-SPD … In Bruchsal wurden Osttypen angestaunt, als ob sie alles uneheliche Kinder Bert Brechts seien. Aber es war ganz platte, ganz biedere Zone.« Kann man so sehen. Doch für den Regieassistenten Matti und seine Kollegen war es das Leben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg