Humorkritik | Januar 2008

Januar 2008

Herr Karl läßt grüßen

Einen nicht untiefen Blick in die Verfaßtheit des neuen österreichischen Bildungsbürgers gewährt das aktuelle Ein-Mann-Stück »Luziprack« des Wiener Kabarettisten Martin Puntigam. Frisch von der Leber weg monologisiert da ein bürgerlicher Mittelständler um die Vierzig, der sehr geordnet lebt: verheiratet mit einer Psychologin, die als »Flirttrainerin« arbeitet, Vater zweier Kinder, beruflich erfolgreich, aber unzufrieden. Daß er angesichts mancher Umstände am liebsten Bomben bauen würde (und auch weiß, wie das geht), macht ihn vorneweg sympathisch, und natürlich ebenso sein Vor­haben, den Ver­sicherungsjob aufzugeben und lieber die Doktorarbeit über Wirtschafts­ethnologie fertigzuschreiben. Verständlich also das ­Dilemma, in das ihn ein Angebot seines Vaters stürzt, gegen sehr viel Geld mitsamt der Familie aus der Stadt weg und zurück aufs Land, nämlich ins Haus der ­Eltern zu ziehen.

 

Ganz wie in dem klassischen Stück über die Abgründe des Kleinbürgers, Helmut Qualtingers »Herrn Karl«, zeigen sich, je länger Puntigam monologisiert, mehr und mehr Risse in der vermeintlich gepflegten Fassade: Anekdoten aus der Jugend in der Provinz lassen handfest kriminelle Geschichten durchschimmern, auch wenn die Geschichte mit den K.O.-Tropfen in der Disko längst verjährt ist und eh gar nichts passierte, weil man längst viel zu besoffen war, als das Mädel endlich umkippte. Wer mit Mitte dreißig noch Skrupel hat, seine sexuellen Wünsche auszuleben, dem ist nicht mehr zu helfen – was aber passiert, wenn man, einfach um es auszuprobieren, den mitgefilmten Sex online stellt, steht auf einem anderen Blatt. Zumal wenn man einen Sohn hat, der den ganzen Tag vor dem Computer sitzt. Und schließlich gerät die ohnehin nicht gute Nachbarschaft zur reinen Vorstadthölle, in der unkooperative Anrainer zunächst abgehört und anschließend systematisch terrorisiert werden, getreu dem Motto: Was man nicht integrieren kann, das muß man vernichten.

 

Wenn es überhaupt einen Weg gibt, das sog. Kabarett dem Zuschauer wieder erträglich zu machen, indem man es nämlich von der hierzulande stets dazugedachten Vorsilbe »Polit-« befreit, dann ist der Weg, den Martin Puntigam einschlägt, der richtige. Der führt zwar eher durch österreichische Seelenlandschaften, ohne daß man genau benennen könnte, worin sich diese nun von bundesdeutschen unterscheiden. Auf jeden Fall aber ist er einer der schöneren, an dessen Wegesrand allerhand Blumen des Bösen stehen. Und zum Glück auch etliche Blüten der Komik.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg