Humorkritik | April 2008

April 2008

Allianz der Ahnungslosen

Ich bin Freund schlichter Buchtitel. Wenn ­James P. Othmer seinen Roman »The Futurist« nennt, muß ihm der Heyne-Verlag nicht die olle Punkmaxime »No Future« als deutsche Titelversion verpassen. Gleichwohl, sie trifft den Kern: Die Hauptperson Yates ist ein ­Futurologe, dem die Zukunft abhanden kommt. Als Star seiner Zunft spricht er vor »Absolventen eines Bibelcolleges in Virginia über die Zukunft Gottes und eine Woche ­später bei der Konferenz der Erwachsenen-Video-Branche in Las Vegas über die Zukunft von Porno« und wird jeweils »mit stehenden Ovationen gefeiert«. Daß seine Freundin ihn wegen eines Historikers verläßt und Yates in einem südafrikanischen Stadion eine ­Massenpanik miterlebt, die vertuscht wird, stößt einen Sinneswandel an. Das ist zwar holzschnittartig psychologisiert, aber ­einem Debütroman verzeihlich.

 

Auch erklärt der Erzähler eingangs viel, was die Figuren ebensogut erleben könnten. Dennoch gefällt mir die Vorstellung von der Midlife Crisis eines Zukunftsforschers, der auf einem Kongreß bekennt: »Wir sind keine Neuerer. Wir sind Jammerge­stalten.« Das ist eine Binsenweisheit. Daß aber ausgerechnet Yates’ Rhetorik von der »Allianz der Ahnungslosen« auf dem aufgeblasenen Flohmarkt der Prognosen einen neuen Hype um seine ­Person auslöst, ist eine schöne Wendung. Erst im Auftrag, später verfolgt von einem geheimbündlerischen Wirtschaftskonglomerat (man darf sich getrost eine Schatten-CIA aus Halliburton, Blackwater u.a. vorstellen) reist Yates um die Welt: Grönland, Mailand, Fidschi, wo Explosionen, Verschwörungen und Tote aufwarten, und über allem trudelt das von Yates promotete Weltraumhotel dem Verglühen entgegen.

 

Am Ende folgt Othmer ganz der Hollywooddramaturgie und bietet einen klassisches Showdown im Irak, der hier (fast zu sprechend) Bas’ar heißt. Terrorangst ist ein lukratives Geschäft, vor allem für die, die sie schüren. Vielleicht ist all das überladen, vielleicht ist das gerade richtig so für ein Satiredebüt, das auf dem US-Markt ­bestehen will. Sicher ist nicht der große Handlungsbogen Othmers Stärke, sondern der Anschluß an tägliche Fernsehbilder, der Biß im Kleinen, der sich schärfende Blick seines Protagonisten, dessen ziel­sicherer Sarkas­mus, die nebenbei eingestreute »­Ab­sol­ventin der ­Condoleeza-Rice-Schule für Weltherrschaft«: Othmer ist ein er­frischend antiamerika­nischer Amerikaner. Ob sein ­Roman ­Zweifel an der Trendforschung und der »Marke Amerika« nähren wird? Ich halte es mit dem Verfasser: »Ja, so wird es sein. Oder auch nicht.«

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella