Humorkritik | Oktober 2007

Oktober 2007

Puffbesucher Brussig

Wenn sich ein Schriftsteller dazu bereitgefunden hat, für das Verlagshaus Springer Prostituierte zu testen, in Bordellen und auch auf dem Straßenstrich, dann braucht er sich keine Sorgen mehr um seinen Ruf zu machen. Doch obwohl Thomas Brussig den Auftrag der BZ, als Spesenritter das Berliner Rotlichtmilieu zu erkunden, angenommen hatte, durfte er sich dort nicht ungeniert ausleben, denn er hatte seiner Frau versprochen, bei den Ermittlungen den Bumm nicht einzufoppen – und das ist nun wahrlich einigermaßen komisch und somit ein Fall für die Humorkritik.

 

In einem Buch mit dem stark übertreibenden Titel »Berliner Orgie« (Piper Verlag) hat der Autor seine Reportagen aus der Halbwelt versammelt, und die Nachwelt wird staunen, zu welchen Einsichten der scharfe Beobachter Brussig im Kiez gelangt ist: »Aus sicherer Distanz ergibt sich der Eindruck, daß es den Frauen nur darum geht, für möglichst viel Geld möglichst wenig zu machen.« Potzblitz! Und ich hatte gedacht, im Puff sei’s gerade umgekehrt. Auf eine vage Vermutung hat sich der Warentester hingegen bei der Bewertung der Arbeitsmoral einer polnischen Hure beschränken müssen: »Vermutlich macht sie ihre Arbeit wirklich gerne, denn als sich ­unsere Blicke treffen, merke ich, daß sie schon versucht, mich zu verführen.« Spricht aus diesem Satz noch eine schmerzhaft berührende Blödigkeit, so schreitet Brussig nach einigen Runden doch mit ­einem merklich besser geschulten Auge zur Fleischbeschau, und er taxiert das Damenangebot mit wachsender Kennerschaft: »Bibi hat einen phantastischen Körper. Schlank, straffer Bauch, scheinbar ohne ein Gramm Fett« – leider nur scheinbar, weil es Brussig ja verwehrt blieb, die Ware prüfend zu betasten –, »trotzdem eine ordentliche Oberweite, schlanker, zarter Hals.« Da werden sich die BZ-Leser aber gefreut haben.

 

In einer Zwischenbilanz stellt Brussig die These zur Diskussion, daß es »in der Prostitution schmalspuriger zugeht als in jeder Bettaffäre. Prostitution ist noch ärmlicher als ein One-Night-Stand.« Davon versteht er also auch nichts. Oder was weiß er von anderer Leute One-Night-Stands? Nach menschlichem Ermessen kann er nicht viel mehr als seine eigenen »Bettaffären« persönlich miterlebt haben. Wenn ihm deren Ärmlichkeit mißfällt, dann darf er das der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen, gemäß dem Wunsch und Willen der Väter des Grundgesetzes, denen die Pressefreiheit am Herzen lag. Unter Zuhilfenahme eines geflügelten Worts von Karl Kraus mache ich Herrn Brussig jedoch darauf aufmerksam, daß ihm das Liebesleben seiner Mitbürger nicht als Rezensionsexemplar vorliegt.

 

Für ihn ist das alles ohnehin ein Buch mit sieben Siegeln. Über die Frau, das unbekannte Wesen, schreibt er, im klagenden Ton eines Mauerblümchens: »Eine Frau in Versuchung zu führen, das ist, wie wenn man nasses Holz mit einem Feuerzeug anzündet.« Bezogen auf den Grillchef Brussig könnte der Vergleich, wer weiß, sogar stimmen. So richtig warm wird Brussig erst am Schreibtisch: »Für die ›Berliner Orgie‹ nutze ich das sprudelnd Frische, das Brühheiße der Eindrücke.« Und das, obwohl er den Opfern seiner Recherche eiskalt ein Ohr nach dem anderen abgekaut hat: »Als wir ins Gespräch kommen, erfahre ich, daß sie in NRW wohnt und für eine kleine Firma das Büro macht.« Beim Interview mit einer anderen Prostituierten freut er sich darüber, daß sie »sehr, sehr nett ist. Sie heißt Petra und ist, so erfahre ich später, achtunddreißig. Würde ich ihr auf der Straße begegnen, käme ich nie auf den Gedanken, womit sie ihr Geld verdient«. Eine Seite weiter steht zu lesen, auf welchen anderen Gedanken der Autor niemals käme: »Außer mir ist noch ein weiterer Mann da, Ulf, der etwa so alt ist wie ich. Würde ich ihm auf der Straße begegnen, käme ich nie auf den Gedanken, wofür der sein Geld ausgibt.« Da liegt die Frage nah, ob Thomas Brussig überhaupt jemals auf einen Gedanken kommt oder ob er automatisch alles zu Papier bringt, was ihm als »Balzac vom Prenzlberg« (Spiegel) durch den Hohlraum zwischen den Ohren schwappt.

 

»Zehn Männer – das sind nach meinen bisherigen Erfahrungen eine gute Zahl für einen Laden dieser Größe«, mutmaßt Brussig, und der Lektor hat’s ihm durchgehen lassen, ebenso wie alle anderen Schnitzer, verqueren Bezüge, falschen Artikel und hypnotisierenden Stilblüten: »Es ist sogar nur eine Minderheit von Frauenkörpern, der mich nackt interessiert.« Der Mehrheit interessiert ihn nackt nicht, sondern nur der Minderheit? Das wäre immerhin eine gute Nachricht für jene Mehrheit, die der Brussig nackt nicht interessiert.

 

Nein, die Frauen haben es nicht leicht mit diesem ungeilen Freier, der eine von Springer prall gefüllte Kriegskasse mit sich führt und trotzdem nur Maulaffen feilgeboten haben möchte: »Janet macht einen weiteren Vorstoß in Sachen Aufs-Zimmer-Gehen; ich bestelle statt dessen meine dritte Cola. Und laß mir noch ein bißchen von Tansania erzählen.« Oder vom Pferd und vom Weihnachtsmann.

 

Zuletzt sei noch erwähnt, daß Brussig auch eine Prostituierte zugelaufen ist, der seine Komplimente, wie er sich einbildet, Vergnügen bereitet haben: »Sie lacht. Sie mag Schmeicheleien. Auch mir gefällt’s, mit ihr zu flirten. Bleibt mir denn wirklich nur der Puff, wo ich noch mit einer schönen Frau flirten kann, ohne gleich wie ein Verbrecher angeguckt zu werden?«

 

Wenn er so flirtet, wie er schreibt, bleibt ihm tatsächlich nur der Puff. Aber »Verbrecher« wäre übertrieben. Einigen wir uns auf stümperndes Medienhürchen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Hände hoch, Rheinmetall-Chef Armin Papperger!

Laut einem CNN-Bericht lagen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten Hinweise zu russischen Plänen für einen Angriff auf Sie vor. So etwas nennt man dann wohl »jemanden mit seinen eigenen Waffen schlagen«!

Mörderpointe von Titanic

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster