Humorkritik | Februar 2007
Februar 2007

Spezialfall Dall
»Euch mach ich fertig!« hieß eines der Soloprogramme des Komikers Karl Dall, und so könnte auch das Lebensmotto lauten, mit dem er sich seit 1941 über Wasser gehalten hat: als äußerlich gehandicapter Schüler in der ostfriesischen Provinz zunächst, dann als Schwarzfahrer, Hungerkünstler, Filmstatist und Trunkenheitsfahrer (»Falls Sie meinen, ich hätte getrunken – ich gucke immer so!«) und seit dem triumphalen Aufstieg mit Insterburg & Co. als beharrlicher, aber nicht allzu ehrgeiziger Verwalter seines großen komischen Talents.
Ich kenne Menschen, die zwölf Jahre alt waren, als sie Insterburg & Co. in der legendären Sendung »Musikladen« Jokus treiben sahen und hörten, und mir ist glaubhaft versichert worden, daß speziell das Treiben von Karl Dall vor rund 35 Jahren zu Erweckungserlebnissen unter Jugendlichen geführt habe: Da warf sich ein triefäugiger Mann, der nicht singen konnte, in Hans-Albers-Posen, figurierte als spastischer Dämlack, kassierte die übelsten Schmähungen ein (»Der Karl, das ist ein armer Wicht mit Fransen um die Birne«) und holte dann aber gefährlich aus, schlug rhetorisch so vernichtend zu wie Donald Duck, Stan Laurel und andere komische Underdogs, wenn sie ernsthaft ins Hintertreffen gerieten, und hatte plötzlich alle Lacher auf seiner Seite.
In der depperten deutschen Filmindustrie der 1970er und 80er Jahre ist Karl Dall als reiner Quatschkopf durchgereicht worden, als Partner von Mike Krüger und weiblichen Nackedeis. Im Fernsehen hat er sich als randständiger Star etablieren können, in wechselnden Formaten. Das ist viel oder sogar mehr als genug für eine verkrachte Existenz aus Ostfriesland. Und dennoch werde ich das Gefühl nicht los, daß in Karl Dall bis heute erheblich mehr steckt als der exzentrische Suppenkasper, den er zu seinem Markenzeichen gemacht hat.
Nein, ich weiß, da tue ich ihm unrecht: Der Suppenkasper ist Didi Hallervorden. Karl Dall sollte in einer höheren Liga spielen dürfen, aber wie es aussieht, müssen Komiker sich in Deutschland ihre eigene Liga erschaffen, aus eigener Kraft, so wie Gerhard Polt und Helge Schneider, wenn sie mit den schnöden Formaten der Fernsehsender unzufrieden sind. Karl Dall hingegen wollte einfach schön viel Geld verdienen. Das ist ihm gelungen, und ich gönne es ihm von Herzen, zumal ich heute, nachdem ich Dalls Autobiographie »Auge zu und durch« (Hoffmann und Campe) gelesen habe, weiß, daß er Hans Albers nur scheinbar veräppelt und ihn in Wirklichkeit stets verehrt hat. Das hatte ich mir aber fast schon gedacht. Möge es Karl Dall mir abnehmen, daß ich ihn als den weitaus bedeutenderen Gesangskünstler erachte als, bei aller Seemannsliebe, den ollen Hans Albers. »Weine nicht, Mensch, wein doch nicht« – das werde ich mir noch auf der Bahre lieber von dem komischen Großmeister Karl Dall anhören als von seinem ironiefesten Jugendidol.
Zum Schluß meine Lieblingsstelle aus dem Buch. 1961 bemusterten Karl Dall und sein Jugendfreund Peter Ehlebracht in ihrer ostfriesischen Heimatstadt einen benachbarten sozialdemokratischen Malermeister mit einer Autogrammpostkarte von Willy Brandt, die den Text enthielt: »Mein lieber Johann, ich habe gehört, daß Du einer meiner größten Fans bist. Wie Du sicher weißt, werde ich am Sonntag in Deiner Stadt sein. Leider gab es auf der Maiwiese für einen Helikopter keine Landeerlaubnis. Deshalb möchte ich, lieber Genosse, mit dem Hubschrauber in Deinem Garten landen. Bitte vergiß nicht, vorher den Rasen zu mähen. Dein Willy Brandt.«
Der Empfänger der Karte, schreibt Karl Dall, »mähte den Rasen« und »zeigte beim Kaufmann die Karte herum. ›Guck mal, Willy Brandt hat mir geschrieben.‹ Bis zur letzten Sekunde vor der Veranstaltung glaubte er, daß Willy Brandt gleich auf seinem gemähten Rasen einschweben würde.«