Inhalt der Printausgabe

Mai 2005


Humorkritik
(Seite 4 von 8)

Polnische Wurstmenschen
Gerade hat die ehemalige Papstnation Polen an gesamteuropäischer Beliebtheit zugelegt, da fährt Leszek Herman mit seinem Buch "Der Klub der polnischen Wurstmenschen" (Ullstein) seinen Landsmannen schmerzhaft in die Weichen. Die "Realsatire zum deutsch-polnischen Verhältnis" könnte realistischer nicht sein: Die polnische Fleischwarenproduktion soll durch ein Wurst-Embargo von Deutschland ferngehalten werden. Wissenschaftler jenseits der Oder züchten daraufhin drei Wurstmenschen ("Die Narben und Auswüchse auf dem Kopf sind wurstmenschlicher Herkunft und bilden den Verschluß der äußeren Hülle des Wurstwesens. Eine zweite Wölbung befindet sich vermutlich im Schritt und imitiert die männlichen Geschlechtsorgane"), die sich im Alleingang bis in deutsche Kühlregale durchschlagen sollen.
Den "Hybriden aus Wurst" gelingt die Flucht nach Deutschland, wo sie sich auf 160 Buchseiten mit lesbischen Feministinnen, literarischen Ambitionen und Dämon Alkohol herumschlagen müssen. Beim Räsonieren über das "Maschinenficken" (Fließbandarbeit) werden totgehoffte Stereotype ausgepackt: "Größte Tugend der Deutschen war ihre eiserne Konsequenz und die solide Ausführung der ihnen gestellten Aufgaben. Die der Polen - das Fehlen eiserner und kompromißloser Konsequenz."
Leszeks Bemühungen, in die Handlung eine gesamteuropäische Ebene zu wurschteln, ergeben einen verbalen Brei, aus dem keine Griebe mehr heraussticht: "Obwohl die Wissenschaft ein geistiges Zurückbleiben des Großen Wurstmenschen nicht bestätigt hatte und es in den europäischen Standards und Einstellungen in Folge der EU-Erweiterung bereits zu ernsten Umwertungen kam, bereitete seine zweifelnde und unsichere Natur dem Wurstmenschen immer noch soziale Probleme."
Gelungene parodistische Einsprengsel sorgen zwar dafür, daß die literarischen und bürokratischen Zeiterscheinungen ihr, ähem, Fett abbekommen, die Protagonisten bleiben aber seltsam farb- und geschmacklos, so daß der polnische Aufschnitt mir letztlich nur eines blieb: Wurst.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Really, Winona Ryder?

Really, Winona Ryder?

In einem Interview mit der Los Angeles Times monierten Sie, dass einige Ihrer jungen Schauspielerkolleg/innen sich zu wenig für Filme interessierten. Das Erste, was sie wissen wollten, sei, wie lange der Film dauere.

Wer hätte gedacht, Ryder, dass Sie als Kind aus der Glanzzeit des Fernsehkonsums einmal die Nase rümpfen würden, weil junge Menschen möglichst wenig vor der Glotze sitzen und sich stattdessen lieber bewegen wollen? Davon abgesehen: Sind Sie sicher, dass sich die Abneigung gegen Cineastisches und das Verlangen, bereits beim Vorspann die Flucht zu ergreifen, nicht nur auf Werke beziehen, in denen Sie mitspielen?

Fragt sich Ihre Filmconnaisseuse Titanic

 Philipp Bovermann (»SZ«)!

Früher hatten Sie Angst vor der Klimakatastrophe. Heute sind Sie Mitte dreißig und haben dazugelernt: »Ich kann heute nur noch darüber staunen, wie wenig tief mich die Tatsache bekümmert, dass der Planet überhitzt, dass Arten verschwinden, Ökosysteme kollabieren, Regenwälder brennen, Meeresböden sich in Wüsten verwandeln. Menschen werden sterben, Menschen sterben schon heute, das Leid der Tiere sprengt alle Vorstellungskraft – aber jetzt stehe ich auf meinem Balkon, habe mir ein Leben aufgebaut, mit einem tollen Job, einer tollen Frau, einer tollen Tochter, unten auf dem Teich schwimmt eine Entenfamilie vorbei, und geblieben ist nur die sanfte Sorge, dass ich mir zu wenig Sorgen mache. Ich grusele mich vor mir selbst. Aber nur ein winziges bisschen.« Denn »vielleicht ist es rational, wegen des Klimawandels ruhig zu bleiben und sich auf das Leid im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Welt wird schon nicht gleich untergehen.«

Nein, Kollege Bovermann, wird sie nicht, jedenfalls Ihre nicht. An den Menschen in Südostasien oder Osteuropa, betroffen von einem exemplarischen Regen aus der neuen Klimagegenwart, schwimmen derweil keine Entenfamilien, sondern ihre toten Töchter vorbei, während Sie sich so arg auf das Leid im Hier und Jetzt konzentrieren, dass es alle Vorstellungskraft sprengt.

Vorm ewigen Jungspießer gruselt’s da ein bisschen: Titanic

 Tatütata, LKA Niedersachsen!

»Ganz viel Erfolg morgen bei der Prüfung, liebe Karin«, sagt angeblich das gesuchte ehemalige RAF-Mitglied Burkhard Garweg gut gelaunt in einem Video, das bei der Fahndung im Presseportal unter der Rubrik »Blaulicht« veröffentlicht wurde. Die Fahnder/innen erhofften sich dadurch, so heißt es, neue Hinweise, und richten sich deshalb mit den Fragen an die Bevölkerung: »Wer ist ›Karin‹ bzw. ›Carin‹?« und: »In welchem Zusammenhang steht sie zu Burkhard Garweg?«. Schön und gut, da möchten wir nach einem derartigen Cliffhanger nun aber auch die Frage hinzufügen: Wie ist Karins Prüfung denn nun eigentlich gelaufen?

Hinweise an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
Titanic unterwegs
05.10.2024 Kassel, TiF Max Goldt
05.10.2024 Berlin, Künstlerhof / Buchhändlerkeller Alt Lietzow Christian Y. Schmidt
06.10.2024 Berlin, Schloßparktheater Max Goldt
06.10.2024 Hannover, Pavillon Hauck & Bauer