Inhalt der Printausgabe

Oktober 2004


Humorkritik
(Seite 5 von 6)

George Carlin
Seit vielen Jahren wird verzweifelt versucht, die originär amerikanische Stand-up-Comedy auch in Deutschland zu etablieren. Da aber hier, im Gegensatz zum Mutterland der Disziplin, der Unterbau fehlt, der dort aus zahlreichen Comedy-Clubs von der Ost- bis zur Westküste besteht, wird jeder, der drei Witze am Stück erzählen kann, vor eine Kamera gestellt, vor allem in Nachwuchsfördershows der ProSiebenSat.1 Media AG.
Gerne ignoriert wird dabei, daß einerseits das traditionell starre Konzept bereits vor Jahrzehnten von Andy Kaufman (TITANIC 2 und 3/99) intelligent durchbrochen wurde, und daß andererseits in den sehr engen Bahnen fast alles durchgetestet wurde, der US-Stand-up Betrieb daher in seiner Masse so langweilig und belanglos geworden ist wie das deutsche Kabarett und nur noch als Castingveranstaltung für Sitcoms dient. (Beispielsweise besteht beinahe die komplette männliche Besetzung der zu Tode wiederholten Serie "King Of Queens" aus gelernten Stand-up-Comedians.) Trotzdem weht manchmal neben dem Konzept auch der Inhalt mit übers Meer, etwa wenn der Moderator der WDR-Sendung "Night Wash" Klaus-Jürgen Deuser schlecht übersetzte Jerry-Seinfeld-Texte vorträgt. Aber wenn schon klauen - warum nicht bei hierzulande Unbekannteren? Etwa bei George Carlin?
Der steht seit bald 50 Jahren auf der Bühne und darf sich als einer der Begründer des Genres bezeichnen; was er, nicht gerade von Bescheidenheit geplagt, auch tut. Er hält mit zwölf Solo-Bühnenshows auf dem Bezahlsender HBO den Rekord, war der erste Gastgeber der legendären Sendung "Saturday Night Live" und tourt noch immer mehr als einhundert Tage im Jahr quer durch die USA. Er schöpft aus dem reichhaltigen Fundus aller Themen, die so ein Stand-up-Comedian eben braucht: Männer, Frauen, Kinder, Haustiere, Marihuana, Autos, Straßenverkehr usf., gerne in One-liner gepackt oder in Auflistungen; durch seine gigantische Bühnenerfahrung beeindruckt Carlin mit überragender Präsenz und ebensolchem Timing.
Erste nationale Aufmerksamkeit errang er, als er eine Liste all jener "schmutzigen" Wörter erbat, die man nicht im Fernsehen sagen dürfe. Seine Originalliste ("shit, piss, fuck, cunt, cocksucker, motherfucker, and tits") brachte ihn 1978 bis vor den Supreme Court, wo ihm die Federal Communications Commission (FCC), die sich für die moralische Unversehrtheit der amerikanischen Jugend zuständig fühlt, die Nummer verbieten wollte. Ohne Erfolg. Seitdem ist George Carlins Bühnencharakter in den notorisch religiösen, prüden und patriotischen Vereinigten Staaten streng atheistisch ("The only good thing that ever came out of religion is music"), vulgär ("Freud once said: Sometimes a cigar is just a cigar. Well, sometimes it is a big brown dick with a business criminal asshole sucking on the wet end of it") und anti-amerikanisch: "Of course the US is founded on the double standard. It was founded by slave owners who wanted to be free."
Obwohl Carlin auch zu subtileren Tönen fähig ist, verlagerte er sich im Laufe der Zeit auf rüde Tiraden, stets bemüht, einen möglichst radikalen Gegenstandpunkt zur hochneurotischen öffentlichen Meinung abzuliefern. Dabei gerät er oft an Grenzen und darüber hinaus. Seine Sucht, Komik durch brachiale Schock- und Ekeleffekte zu erzeugen, kann, vor allem bei neueren Nummern, durchaus ermüden. Obwohl George Carlin in der Lage ist, gelegentlich auch die eigene Anhängerschaft vor den Kopf zu stoßen, hat er sich unterdes angewöhnt, eher seine Weltsicht zu predigen als einfach nur solide Witze zu machen.
Entgegen seiner gerne vorgetragenen Abscheu vor der amerikanischen Gesellschaft belegt Carlins Karriere aber auch eine positive Eigenschaft des amerikanischen Publikums: dessen ausgeprägte Humor- und Kritikfähigkeit. Ich stelle mir das ungefähr so vor, als läse, auch wenn die beiden Herren nur sehr bedingt vergleichbar sind, Hermann L. Gremliza vor Hunderten von begeisterten Deutschen; und das mehrmals pro Woche, landauf, landab.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann