Inhalt der Printausgabe
Juli 2004
Humorkritik (Seite 8 von 9) |
Powenzbande revisited |
Es gibt Bücher, die sind weder gut noch schlecht, sondern beides. "Die Powenzbande" von Ernst Penzoldt ist ein Beispiel. Diese "Zoologie einer Familie", wie der Untertitel lautet, ist eine Satire auf die Philister, eine Lobrede auf die Außenseiter und, vorgeblich verfaßt vom "Kustos" des "Powenzmuseums", auch eine Parodie auf Wissenschaft und Heimatforschung, penibel versehen mit Fußnoten, Literaturanhang und einer bis zu Adam und Eva zurückreichenden Ahnentafel. In der Tat hat dieser Roman seine Meriten, denn wie Penzoldt den Aufstieg der vielköpfigen, vom Langfinger über den Schürzenjäger bis zum Künstler aus lauter Originalen bestehenden Sippschaft eines seßhaft gewordenen Landstreichers beschreibt, die in zahllosen Fehden gegen die Pfahlbürger einer Kleinstadt sich behauptet, "mit List und Betrug" ein Haus baut und schließlich zu hohen Ehren mit Denkmal und Briefmarke gelangt, das ist schon gut. Oder genauer: Das war gut. Eine liederliche Familie zum beneidenswerten Helden zu machen, das war vor fast 75 Jahren neu in der deutschen Literatur; und Penzoldts Fabulierlust, Freude an Schabernack und Ironie sind bis heute spürbar. Zudem bringt er schöne Sätze hervor, darunter den bedenkenswerten Merksatz: "Das Leben ist herrlich, fürwahr, die Existenz aber ist fürchterlich." Ungewaschen, aber doch "von naturhafter Sauberkeit", unordentlich, aber lebensfroh, ohne Manieren, aber pfiffig und tüchtig, untereinander uneins, aber gegen außen fest zusammenhaltend - so mag sich der kleine Mann damals seine etwas andere, ein wenig bohemehafte Idealwelt erträumt haben. Inzwischen aber entsteigt dem 1930 erstmals erschienenen und zuletzt 1949 veränderten Buch eine muffig gewordene Luft. Die Familiengeschichte atmet den altdeutschen Geist einer verschimmelten Welt: Schon das Motto des Familienoberhaupts Baltus Powenz: "furchtlos, fröhlich und fruchtbar", parodiert zwar Turnvater Jahns vier Fs, ist aber nicht minder altbacken; einzelne putzige Ideen (Sohn Heinrich pflegt mit einem Photoapparat zu Bett zu gehen, um seine Träume zu knipsen) wirken mittlerweile ebenso angemodert wie die gemütvoll geschilderte Praxis des Alten, regelmäßig seine Kinder "sämtlich tüchtig durchzuhauen" (und vergißt er es mal, "erinnerten ihn seine Söhne daran. Es hätte ihnen sonst etwas zu ihrem Wohlbefinden gefehlt"). Auch der Stil, eine Art Thomas Mann light, scheint zumindest deplaciert, wenn die Powenze den Mund auftun und "Du Unholder!" rufen oder "Was ist dir, Heinrich, entarteter Sprößling?" fragen: So redet nicht der Plebs, sondern der strebsame Mittelstand, wenn er sich über die feine Sprache der bewunderten Oberschicht lustig macht. Aber die Powenzbande ist auch nur äußerlich Lumpenproletariat, in Wahrheit nämlich ein Abbild der aufstiegswilligen kleinen Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Penzoldts Roman schildert, wie man zu etwas kommt, indem man ihren Normen folgt, die da heißen: sein Brot selber verdienen (Baltus Powenz ist kein Schmarotzer, sondern betreibt eine Badeanstalt), eine Familie gründen, ein Haus bauen, Anerkennung bei den Mitbürgern erwerben. Selbst in der Semikriminalität der Powenze, die sich das Baumaterial für ihr Haus "organisieren", können Hinz und Kunz sich gut und gerne wiedererkennen, denn kleine Gaunereien beim Einkauf und Betrügereien bei der Steuererklärung leistet sich doch jeder mal, stimmt's? Oder habe ich recht? |
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