Inhalt der Printausgabe

Juli 2004


Humorkritik
(Seite 4 von 9)

König Zosimo
Sie wissen ja selbst: Der von mir voreinst beschworene Wagenbach-Humor erschöpft sich, seit Anbeginn und nur selten von wahrhaft komischer Buchproduktion unterbrochen, in Abbildungen der lustig wackelnden Verlegerkugel, die beispielsweise viel zu oft in Wagenbachs Jubiläums-Almanachen zu finden sind. Und diese wenigen, genaugenommen zwei Unterbrechungen hatte ich vor vielen Monaten Gelegenheit Ihnen vorzustellen: Luigi Malerbas gemeinsam mit Tonino Guerra angestifteten Roman "Von dreien, die auszogen, sich den Bauch zu füllen" und Malerbas, jawohl, unerreichtes Soloalbum "Pataffio", beide in grandios komisches Deutsch gebracht von Moshe Kahn.
Derzeit ist wieder irgendein Jubiläum; derzeit, genauer seit vielleicht circa einem Jahr, im Handel ist aber auch Andrea Camilleris unter Wagenbachs Panier erschienenes Großwerk "König Zosimo", welchselbiger angeblich nach dem Willen des sizilianischen Volkes 1718 in Agrigent gekrönt worden sein soll. Darf ich Camilleris Erklärungen am Ende des Romans glauben, so war ihm eigentlich nicht mehr als dieses Faktum bekannt - und daß man Zosimo nachsagte, er habe mit Schwarzpulver versetzten Wein getrunken. Derlei reichte Camilleri offensichtlich, eine funkensprühende Vita zu erdichten, die damit beginnt, daß eben dieser Michele Zosimo nach Durchtrennung seiner Nabelschnur nicht wie am Spieß zu schreien, sondern glockenhell zu lachen anhebt. Sie führt ferner durch ein schluchtiges Auf und Ab aus juchzender Vergnüglichkeit und schrecklichstem Unglück, daß einem oft schlicht die Spucke wegbleibt. Und sie führt durch Dialoge wie diesen: "›Ich will Don Stellario Spidicato sehen.‹ - ›Ihr könnt gar nichts wollen wollen, wollen ist kein Wort, das Euch zukömmt‹, sagte die Wache und sah sie diesmal erzürnt an. ›Sagt mir dann, wie ich's sagen soll.‹ - ›Ihr müsset sagen: Dürfte ich wohl die Ehre erwiesen bekommen, den Justizpfleger Don Stellario Spidicato zu sehen?‹ - ›Dürfte ich wohl die Ehre erwiesen bekommen, den Justizpfleger Stellario Spidicato zu sehen?‹ - ›Einen Fehler habt Ihr gemacht, Ihr habt nämlich das Don vergessen.‹ Filòna machte eine große Anstrengung, ihm nicht an die Gurgel zu springen und sein gehörntes Gesicht mit den Fingernägeln zu bearbeiten, und so wiederholte sie diesmal die richtigen Worte, doch die Wache sagte weder Eh noch Beh. ›Also dürfte ich nun wohl die Ehre erwiesen bekommen?‹ - ›Das könnt Ihr nicht, denn der Justizpfleger ist nicht da.‹"
Kein Wunder, daß sich die wackeren Sizilianer einen Bauern zum König erwählen und skandieren "Ja, Hunde sind wir und hungrig vom Streunen! / Und gleich ziehen wir euch das Fleisch von den Beinen!" All dieser große Spaß, der mein Herz so recht vor Freude wackeln läßt, wächst, das dürfen Sie mir glauben, nicht nur aus der scheinbaren Naivität aller Handelnden, sondern wird von Camilleri mit einer scheinbar alten, vom Küchenspanisch der damaligen Besatzer durchwachsenen Sprache vertont, daß es nur so knallt und hallt.
Und wer hat es so übersetzt, daß ich oft genug vor Lachen die Lektüre abbrechen mußte? Angesichts der Tatsache, daß man, und dieses eminent erfolgreich, neuerdings Bücher mit einer Banderole bewirbt, die, vollständig entziffert und beglaubigt, die Vorzüge des Inhaltes nahezu allein auf die Übersetzung durch Harry Rowohlt reduziert, wäre es, finde ich, an der Zeit, dem Verlag Klaus Wagenbach ein ähnliches Verfahren bei den von Moshe Kahn übersetzten Werken einzuflüstern.


    1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9   


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg