Inhalt der Printausgabe
April 2004
Humorkritik
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Schlagersintflut |
Im Booklet der bei Bear Family Records erschienenen und kopfwehauslösend betitelten CD "Kultige Songs um coole Figuren - Hits mit Promis" lese ich, der deutsche Schlager, "dieses besondere Liedgut", habe "schon immer weit mehr" gekonnt, "als sich nur von ›ich & du‹ bis ›Herz & Schmerz‹ auszutoben, aber hallo!" Aber echt. "Mit größter Selbstverständlichkeit wurde vor echten Persönlichkeiten der Hut gezogen, schwitzten sich Gebrauchslyriker wahre verbale Lobeshymnen aus den Rippen, um ihre Ehrerbietung abzusondern." Diesen partylacherhaften Seim laicht Bernd Matheja ab, der dreiundzwanzig sog. Schätze deutschen Schlagerschaffens aus den Jahren zwischen 1959 und 1973 zusammengestellt hat, die allesamt komisch sein sollen, weil sie mit krummen musikalischen und textlichen Mitteln ›authentischen‹ geschichtlichen Größen und "Bildschirm- oder Leinwand-Nasen" huldigen, Herrn Rockefeller oder Galileo Galilei, Brigitte Bardot oder James Dean, Jackie Stewart oder Elvis - letzterem wegen, so der vor Formulierungslust überströmende Stabreimstümper Matheja, "Pimpilliarden verkaufter Presley-Platten". Kann sein, daß die Diskrepanz zwischen Gegenstand und Song wenigstens dort die berühmte Fallhöhe erzeugt, wo der Schweizer Kaplan Alfred Flury 1971 dem verstorbenen Jimi Hendrix hinterherhaucht: "Wir fragen dich nicht, du sagst es auch nicht: Warum bist du gegangen?" Aber jenseits solcher kirchentagskompatibler Ömmelei wartet das vergängliche Diesseits der Musikmarkthölle ausschließlich mit nicht einen Takt lang unfreiwillig komischen, sondern vom Auftakt bis zum Schlußakkord peinigend peinlichen Spießerhommagen auf - an Ludwig Erhard ("Er hat das schönste Kind gemacht, das Wirtschaftswunderkind"), an Uwe Seeler, dem Billy Sanders einen brüllend doofen Bumsfallerastampfer widmete, oder an James Bond. Weshalb Matheja meint, 007 sei "im Schlager noch heute ein Bonbon(d)". Jaujau. Bleibt als Rettungsanker abermals bloß die Religion - bzw. Bruce Low, der auf "Noah", an die Adresse des Oberpromis Gott gerichtet, herumsonorte: "Der Herr sah hinab und sprach: ›Es ist zu dumm, / Ich schuf die Menschen, / Doch ich weiß nicht mehr warum.‹" Ich indes, einverstanden mit Lows höchstem Wesen, weiß, wie mit den kultigen Songs zu verfahren ist: "Ich schick' ein bißchen Wasser / Und spül' sie alle fort." |
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