Inhalt der Printausgabe

September 2003


Humorkritik
(Seite 7 von 9)

Frecher Frauenspaßm

Jede Zeitungsredaktion fülle lediglich den Platz zwischen den Anzeigen, sagte einmal sinngemäß Hermann L. Gremliza. Auch die taz leistet sich diesen Luxus. Und weil sie über ein naturgemäß schmales Anzeigenaufkommen verfügt, bleibt enorm viel Platz für allerlei Text. Sogar für eine unterhaltsam gemeinte Kolumnenseite, wo vornehmlich Autoren agieren, die sich gern mit Bild in der Zeitung gedruckt sehen. Auch eine Dame mit dem schönen Namen Jenni Zylka gehört dazu. Sie kolumniert hauptberuflich zum Thema "Sex & Lügen". Außerdem fungiert sie, wenn ich das recht verfolgt habe, als eine Art Blitzmädchen für alles: da mal was über Biertrinken in Berlin, hier mal eine Rezension zu Daniel Küblböck, dort mal über sonstwas. Schreibt solche Dame einen "Roman", denke ich zuerst an Popliteratur-, Debütantinnen- und Fräuleinwundernachzüglerin. Stelle ich mir zudem vor, daß ihre frohsinnspatriotische Generation dermaleinst Macht und Einfluß gewinnen und auch ausüben wird, liebäugle ich schon jetzt mit einem Asylantrag in Tschechien oder Tschetschenien.
Warum? Nun, was in Jenni Zylkas Kolumnen schon schlampig genug in Worte gesetzt wird, verliert in Buchform ("1000 neue Dinge, die man bei Schwerelosigkeit tun kann", Rowohlt) wie jede angestrengte Daueralbernheit gänzlich den Pfiff. Immer ist es der nächstliegende Witz (Ikea belästern, Horoskope umdichten), das abgegriffenste Bild. Immer wird irgendwie "gekichert". Immer sind die Leute "interessant" oder "nett", mindestens aber "originell". Immer ist das Essen oder Trinken "lecker", immer wird "genau" statt "ja" gesagt. Immer können sich die "Protagonisten" nichts Schlimmeres vorstellen, als für humorlos gehalten zu werden.
Für Nachwuchslektor(inn)en mag es hinreichen, die Genrebezeichnung "Roman" dafür in Anwendung zu bringen, obwohl hier eher ein auf heiter getuntes Tagebuch eines "vergnügten Mid-Thirty-Singles" vorliegt. Postwendend wird Jenni Zylka von ihren Leserinnen auch "ein großes humoristisches Potential" unterstellt. Der Damenjubel reicht erwartungsgemäß von "frecher Frauenspaß" über "keine einzige Lippenstift-Diskussion und völlig gucci-freier Frauenspaß" bis "dieses Buch ist schon deswegen lesenswert, weil es von einer Frau ist".
Böse Kollegen nennen es einfach "Partygeschnatter" oder "Hühnerhumor". Während ich darüber staune, wie schwer sich das trotz der alles überdeckenden Schwerelosigkeit wegliest. Genau eine Stunde habe ich für die 185 Seiten gebraucht. Inklusive Auf- und Zuklappen.



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt