Inhalt der Printausgabe
Dezember 2002
Humorkritik
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Zum Schießen |
In Amerika gilt Michael Moore als erfolgreicher Satiriker, sein Buch "Stupid White Men … and Other Sorry Excuses for the State of the Nation!" (in Deutschland gerade erschienen bei Piper als "Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush") verkaufte sich trotz Medienboykotts hervorragend, hierzulande kennt man ihn allenfalls im Zusammenhang mit seiner Filmdokumentation "Roger & Me" (1989), die die katastrophalen sozialen Auswirkungen von Massenentlassungen insbesondere durch General Motors in Flint, Michigan, zeigte und zum besucherstärksten Dokumentarfilm aller Zeiten avancierte. Ein amerikanisches Sittengemälde ist auch sein neuer Film "Bowling for Columbine" (in den Kinos seit Ende November), ein filmischer Parforceritt durch den amerikanischen Waffenirrsinn mit durchaus satirischen Mitteln; deren zwingendstes ist die gespielte Naivität, mit der der übergewichtige und stets leicht ungepflegte Moore seine Interviewpartner überrumpelt: wenn er etwa in eine Bank geht, die damit wirbt, daß jeder neue Kunde als Begrüßungsgeschenk eine Schußwaffe erhält. Moore eröffnet ein Konto und bekommt prompt ein Gewehr überreicht: "Meine erste Frage ist: Ist das nicht gefährlich, Leuten in der Bank Gewehre auszuhändigen?" Kontrastiert werden die von Moore provozierten Szenen mit Archivmaterial, Ausschnitten aus Fernsehnachrichten (etwa über einen blinden, aber begeisterten Amateurschützen), Fernsehserien ("Cops"), Zeichentrick- und Werbefilmen z.B. der National Rifle Association; mit Hilfe der assoziativen Montage verdichtet er allmählich sein Thema, das nur vordergründig mit dem Massaker in der Columbine Highschool zusammenhängt: "Ich hätte diesen Film auch schon vor zehn Jahren machen können … Amerika war vor zehn Jahren genauso wie heute. Der Film handelt von unserer Kultur der Angst und wie unsere Angst uns zu Gewaltakten auf privater und internationaler Ebene führt." Es ist reinstes cinema vérité, böse und sehr komisch, wie Moore der Paranoia der Amerikaner auf den Grund geht, die sich seit Gründung der USA verfolgt und (wie wir Deutsche letztlich auch) dort am meisten bedroht fühlen, wo die Kriminalitätsrate am niedrigsten ist. Fast ein Wunder, daß ein solcher Film nach dem "11.9." (George W. Bush) überhaupt noch möglich ist. Kein Wunder wiederum, daß er den Spezialpreis in Cannes 2002 (als erster Dokumentarfilm überhaupt) und den Publikumspreis beim Festival Internacional de San Sebastian 2002 erhalten hat - die hat er schlichtweg hoch verdient. |
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