Inhalt der Printausgabe

November 2001


Humorkritik
(Seite 6 von 6)

Familienunterhaltung

Versäumtes aus der Fernsehwelt gilt es nachzutragen. Die Sitcom "Frasier", fälschlich von vielen als simpler Nachschlag der sehr erfolgreichen Bierbarsaga "Cheers" abgetan und mit Mißachtung gestraft, erweist sich, wenn man die Episoden jetzt in der Wiederholung auf Sat.1 wiedersieht, als äußerst angenehme Unterhaltung auf einem für eine amerikanische Produktion untypischen Pointenniveau. Kitscharme Comedy ohne spätpubertäre Cartoon-Kraftausdrücke. Beispiel gefällig?
Frasier Crane, der Radiopsychologe, hat sich von seiner Chefin im Sender anläßlich einer wichtigen Lohnverhandlung in eine Affäre verwickeln lassen. "Ich kann diese Frau im Grunde überhaupt nicht leiden", sagt er, "aber da war plötzlich dieses animalische Gefühl zwischen uns, und dann ist es eben passiert." Die einzige Frau in der Runde, Nicht-Psychologin und also die Naive, fragt entgeistert nach: "Schlafen denn Männer mit Frauen, obwohl sie die nicht leiden können?" Alle anwesenden Männer brummen in nicht vorhandene Bärte. Die Frau will den Ruf ihrer Geschlechtsgenossin retten: "Na und? Als ob ihr Männer niemals den Sex benutzt, um damit eure Ziele zu erreichen!" - "Für Männer ist der Sex das Ziel, wie also könnten wir da…" - und kopfschüttelnd wendet Frasier sich ab. Gut gebaute Dialoge in glaubhaftem Duktus und auffällig vielseitiges, gut inszeniertes Minenspiel. Der vielgelobte, aber leider ewiggrinsende Jerry Seinfeld, den man parallel zu Frasier auf Pro7 besichtigen kann, führt oft genug gegenteilige Qualitäten vor Augen. Plumpe Oneliner finden bei "Frasier" selten Platz, und die besten Pointen hat's oft gerade dann, wenn peinliches Schweigen herrscht.
Gibt es das Gegenteil von Familienunterhaltung? Falls ja, dann ist der Komikerin Jennifer Saunders mit der BBC-Serie "Absolutely Fabulous" ein richtiger Schritt in diese Richtung gelungen. Jennifer Saunders als Mutter steht hier im Mittelpunkt, aber Mutter ist längst nicht mehr die Allerbeste (bei Frasier ist sie längst tot und als solche eben abwesend), sondern ein ewig versoffener Schreihals in schreienden Designerklamotten. Hierzulande wird "Abfab" sträflich mißachtet, was zu einem Gutteil an der katastrophalen Synchronisation liegen mag. Mir gelang es gelegentlich, einige untertitelte Folgen auf Arte oder 3sat zu erhaschen.
In drei Staffeln von 1992 bis 1995 von der BBC erstmals ausgestrahlt, hat sich "Absolutely Fabulous" eine treue Fan-Gemeinde erobert, die ihre Internetseiten bis heute allmonatlich aktualisiert.
Die Grundidee von "Abfab" ist simpel, mit einem einzigen Sketch in der Show "French and Saunders" hat es einmal angefangen. Jennifer Saunders spielt Edina, eine versiert verrückte, ihr etwas fortgeschrittenes Alter beharrlich verleugnende, jedem Trend hinterherwackelnde Modehenne. Ihre siebzehnjährige Tochter Saffron ist das genaue Gegenteil: häuslich, verantwortungsbewußt und um das Wohl der Armen in der Welt besorgt. Ein Mutter-Tochter-Konflikt mit umgekehrten Vorzeichen: Mutti wirft das Geld zum Fenster raus, fällt auf Gurus und Gucci herein und säuft mit ihrer Freundin Patsy, die in einer Wohnung direkt über einem Schnapsladen haust, die Nächte durch, wobei Edinas Job bei einer PR-Agentur die ständige Jagd nach dem jeweils neuesten Trend befeuert. Die Freundinnen Edina und Patsy sind verzogene, ich-zentrierte Monster. Sie kennen keine Moral und, falls ein Mann oder auch nur eine schöne Handtasche auftaucht, schnell auch keine Freundschaft mehr. Ihr Problem: die Angst, etwas zu verpassen, modemäßig abgehängt zu werden - der Alltag als überdrehte 24-Stunden-Party. "Abfab" ist schnell, hysterisch, überdreht. Beispiel gefällig? Nun gut, ein kleines: Die neue Chefredakteurin platzt im Stechschritt in die Redaktionskonferenz eines Modemagazins und definiert im breitesten Unterklasse-Englisch ihre redaktionelle Linie: "Ich will Seide, ich will Chiffon, ich will Batist. Ich will Titten, ich will Ärsche, und du kümmerst dich um die Accessoires, die Schuhe, die Schals. Wer ist hier für Handtaschen zuständig? Du? Gut, also Handtaschen: Gucci, Hermès, Valentino, du kümmerst dich drum. Und bring keinen Mist! Okay, das war's. An die Arbeit!" Und im selben Stechschritt entschwindet sie wieder.
Man darf "Abfab" zweimal sehen, auch dreimal, wenn's dann doch wieder mit der Sprache hapert. Aber dafür gibt es ja die Videos. Oder wird Arte vielleicht eines Tages einen schönen Jennifer-Saunders-Themenabend zum Mitschneiden präsentieren? Verdient hätte sie es längst.


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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
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