Inhalt der Printausgabe

November 2001


Humorkritik
(Seite 3 von 6)

Tödliche Pilze

Von vielen Zeitungsredakteuren und selbst von mir bislang unbemerkt, hat die neue Freizügigkeit auch in der Pilzszene gewisse Spuren hinterlassen. So ist zum Beispiel im Zentralorgan Der Tintling (1/2000) diese wunderschöne Kontaktanzeige nachzulesen: "Pilzberater, m., 40, bisex., sucht ähnlich fühlende Menschen (Pilzler) und Nichtr., für Erfahrungsaustausch, Freundschaft, Reisen und auch mehr, w. + m. Berlin bis Basel und weiter. Tel.: (…)". So neu kann die Tabulosigkeit ("und auch mehr") kaum sein, wird doch seit Jahr und Tag "spermatisch" in gelehrten Pilzführern als Attribut für Geruch und, jawohl, sogar Geschmack seltener Pilze verwandt.
Herausgegeben wird Der Tintling, die quartalsweise erscheinende "Bildzeitung für Pilzfreunde" (Eigenwerbung), von Karin Montag, einer resoluten Ex-Marktfrau; auf der dazugehörigen Homepage www.tintling.gewerbenet.de sind neben viel Informativem allerhand Neckischkeiten und sogar eine ganze Latte Pilzwitze zu finden. Aber mich interessierte vielmehr der von ihr verfaßte Pilzkrimi "Tödliche Pilze" (Verlag Der Tintling, 1999).
Dessen Geschichte ist schnell erzählt: Gewissenlose Pilzhändler verkaufen auf dem Schloßbacher Wochenmarkt toxische Orangefuchsige Rauhköpfe (Cortinarius orellanus) als Pfifferlinge. Fünfundzwanzig heimtückische Vergiftungen treten in der Folge auf, darunter zwei Todesfälle durch Nierenversagen. Viele Verwicklungen. Am Ende triumphiert "zwar nicht das Recht, wohl aber die Gerechtigkeit auf ganzer Linie" (Eigenrezension in Der Tintling).
Freilich ist der Lektüre schnell anzusehen, daß Karin Montag ihre Lexik über Jahre hinweg mit Pferdegeschichten und Arztromanen aufmunitioniert hat. Die Personage kommuniziert ausnahmslos über ein völlig unerträgliches Arsenal an Spruchweisheiten und Sprichwörtern. Ihre Phrasendreschmaschine scheint ein Perpetuum mobile zu sein. Das sätzeverbindende Komma ist nicht bekannt, dafür überzeugt aber eine kaum noch steigerbare Inflation von Genitivapostrophen. Doch glaube ich der Autorin jedes Wort, jeden Buchstaben. Jeder, der schon einmal einen Krimi im Fernseh verfolgt hat, weiß, daß Polizisten niemals so wie im Drehbuch reden. In Karin Montags "Tödliche Pilze" reden Ermittler und Täter, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist und so, wie sie es vermutlich für witzig halten. Über das durch keinen Funken Geist geschönte Anstinken wider die eigene Humorlosigkeit breiter Bevölkerungskreise und dessen einwandfreie Dokumentation kann ich noch immer herzlich lachen.
Die witzigste Kontaktanzeige in Sachen tabuloses Pilzesammeln und höchstvermutlich auch tödliche Pilze indes verdanke ich nicht der "Bildzeitung für Pilzfreunde", sondern dem Spiegel, der eine undatierte Ausgabe der Lübecker Nachrichten zitierte: "Er, 3 x verw., 58, 1,80, Hobbys: Strand, Schwimmen, Pilze sammeln u. koch., su. nette Dame".


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt