Inhalt der Printausgabe
Juli 2001
Humorkritik
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Wust, Gestank und Grauen |
So dichtete einst Goethe: "Was will von Quedlinburg heraus / Ein zweiter Wandrer traben! / Hat doch der Walfisch seine Laus, / Muß ich auch meine haben." Man mag da als unbelasteter Leser vielleicht, wie Goethe selbst es bereits an anderer Stelle getan hat, fragen: "Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?" Nun, "Quedlinburg" ist laut "Meyers Großem Konversationslexikon" (6. Auflage, 1908) eine Kreisstadt im preußischen Reg-Bez. Magdeburg mit Draht- und Blechwarenproduktion einer- und Nudel- und Mehlwarenproduktion andererseits. Sowie, nicht zu vergessen: "In der Nähe des Bahnhofs erhebt sich das schöne Kriegerdenkmal ›Reiter von Mars la Tour‹, auf dem Mummentalplatze das des Turnvaters und Pädagogen Guths Muths, beide modelliert von Anders." Mit dem Walfisch meint Goethe zweifelsfrei sich selbst, als unförmigste "Kolossalfigur deutschen Geistes" (W. Bode). Aber was ist der "zweite Wandrer" und wer soll wohl "die Laus" sein? Ganz einfach: Die Laus, die Goethe meint, trug den schönen Namen Friedrich Wilhelm Pustkuchen (1793-1834). Über diesen Mann sagt wiederum besagtes Lexikon: "Erregte Aufsehen durch seine Fortsetzungen von Goethes Roman ›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹. Gleichzeitig mit dem 1. Bande des gleichnamigen Werkes von Goethe erschienen: ›Wilhelm Meisters Wanderjahre‹ (Quedlinb. 1821-22, 3 Bde.) sowie ›Wilhelm Meisters Tagebuch. Vom Verfasser der Wanderjahre.‹ (Leipz. 1821), sodann ›Gedanken einer frommen Gräfin‹ (Quedlinb. 1822), die auch als ›Wilhelm Meisters Wanderjahre. Zweite Beilage‹ bezeichnet wurden (das. 1824, 2 Bde.)." Der Kommentar des Lexikographen: "Diese Werke sind im Grunde nichts andres als engherzige orthodoxe Schmähschriften gegen Goethe und wurden denn auch allgemein aufs abfälligste beurteilt." So zum Beispiel noch fünf Jahre nach Goethes Tod, als ein junger Brausekopf sich genötigt fühlte, dem "Weltkind in der Mitten" gegen Pustkuchen beizustehen. Karl Marx - denn dies war sein Name - verfasste 1837 als Berliner Student ein derbes Schmähgedicht auf den Afterdichter, der es gewagt hatte, Goethe zu parodieren. "So knete deine Kuchen nur zurecht/ Dann bleibst du immer noch ein Bäckerknecht", so Marx. Der arme Pustkuchen starb übrigens als Landprediger, zwei Jahre nach dem Weimaranerer, aber in Wiebelskirchen im Saarländischen, wo etliche Jahre später der sattsam bekannte Erich Honecker als Paukist der dortigen Schalmeienkapelle geboren wurde. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Nicht Mischa, sondern Thomas Wolf wiederum heißt der traumatös belesene Autor der großangelegten Studie "Pustkuchen und Goethe. Die Streitschrift als produktives Verwirrspiel" (Niemeyer Verlag, Tübingen), welche ich beinahe uneingeschränkt fast jedermann zur Lektüre anempfehlen kann, trotz der siebeneinhalb Millionen Fußnoten, die hier sogar oft noch netter sind als der Grundtext. "Ein interessantes Schlaglicht auf die deutsche Übergrößen-Philologie" verspricht die Klappe, aufgrund der zahllosen kuriosen Zitate ganz zu Recht. Der haßerfüllte Goethe über den Kontrahenten: "Pusterich, ein Götzenbild, / Grässlich anzuschauen, / Pustet über klar Gefild / Wust, Gestank und Grauen." Man schlage das Werk von Wolf auf und lasse sich anpusten. |
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