TITANIC Gold-Artikel

Heal the DAX! Wie TITANIC einmal den größten Opfern der Coronakrise Linderung verschaffte

Donnerstag, 12.3.2020. Wie seit Tagen tickern ständig neue Corona-Schreckensmeldungen in die TITANIC-Redaktion hinein: kompletter Lockdown Italiens, Geisterfußballspiele, verschobene Semesterstarts, vorzeitig beendete Sportwettbewerbe, infizierte Bundestagsabgeordnete und ein erkrankter Tom Hanks. Tom Hanks, Leute - wenn das Virus sich den schnappt, geht es wirklich zu weit!

Das ist alles so viel zu verarbeiten, da kann schon mal der Blick fürs Wesentliche verloren gehen und unter, wer in solchen Krisenzeiten die wirklich Armen sind: die mit dem Geld. Zum Glück erinnert eine weitere Eilmeldung daran: Der Deutsche Aktienindex (DAX) fällt erstmals seit irgendwann unter irgendeine Zahl. Das ist nicht gut. Denn so viel wissen auch die Wirtschafstlaien in der TITANIC: hohe Zahlen sind gut, niedrige schlecht - und Börsianer arme Schweine. Also derzeit. Vielleicht.

Spontan wird aus Mitleid Tatendrang, schließlich ist die wichtige Frankfurter Börse nicht weit. Wenn die Politik schon viel zu kleine Hilfspakete schnürt, können hier wenigstens welche gepackt werden. Unter dem Motto “Heal the DAX - Make it a better place” werden “DAX Aid”-Kisten gepackt, darin u.a.: Energy-Drinks, Fünf-Minuten-Terrine, Toilettenpapier (als Wertanlage), Schlafmasken (die sich auch als Atemschutzmasken einsetzen lassen), Golduhren und große Beutel Not-Koks - sowie ein Optionsschein für eine Umarmung (aber nur einzulösen bei Vorlage eines negativen Corona-Tests). Also alles, was ein richtiger Trader oder Broker (oder wie man das nennt, wenn man sich damit nicht in den 1990ern zuletzt näher beschäftigt hat), um durchzuhalten, um “die Wirtschaft” (Christian Lindner) und damit viele Leben zu retten (leider irgendwie sogar wahr).

Also werfen sich fünf TITANIC-Helferlein weiße Westen (zwinker) über und eilen los. Auf der durchaus nicht ungefährlichen U-Bahnfahrt werden Sorgen ausgetauscht und ernsthaft noch weitergehende Maßnahmen diskutiert, z.B. ein Benefizkonzert mit mindestens Campino – natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber das sind Geschütze gegen das Virus, die man vielleicht noch später brauchen wird. Stattdessen wird beim Anblick des Bullen und des Bären andächtig gesungen: "Heal the DAX / Make it a better place / For you and for me / And the entire human race / There are Investmentbankers dying …"

Ein Lockruf, der schon nach wenigen Sekunden das erste Opfer (des Virus, nicht unseres! Anm. der Anwältin) anlockt. "Ja, haha, das finde ich toll, dass jemand helfen will", ruft der (bisher noch) gut behütete Mann, denn er sieht schwarz: "Am schlimmsten ist es immer, wenn die Hausfrauen nach Anlagetipps fragen. Dann weiß man, bald ist es vorbei, dass dann die Selbstheilungskräfte des Marktes nicht mehr greifen." – "Die Hausfrauen?" – "Ja, die Taxifahrer, das Reinigungspersonal, die ganzen Leute ohne Ahnung eben." Er erzählt binnen Sekunden seine Lebens- und Geschäftsgeschichte und will szeneuntypisch gierig wissen, was er da im Paket abgreifen kann. "Oh, Notkoks, hahaha, das ist super – aber kann ich nicht annehmen." – "Wieso, sind Ihre Kokszeiten vorbei?" – "Nein, natürlich nicht, aber die Not."

Das klingt überraschend zuversichtlich, erst recht angesichts der Lage. Zwar klagt auch er über die Nöte, die man hier so hat: "Ich habe in einem Jahr acht Millionen eingenommen. Vier Millionen kriegt der Staat. Zwei Millionen zahlt man aus. Zwei Millionen braucht man zum Anschub fürs nächste Jahr. Da können Sie sich ausrechnen, was bleibt." – "Hmm, ja. Moment …" - "Es ist jedenfalls hart, wenn man Leute entlassen muss, mit solchen Paketen losschicken. Richtig traurig."

 

Das waren wohl Pakete, in denen es bestimmt keine Optionen auf tröstende Umarmungen gab. Und keine Golduhren aus dem Redaktionsfundus. Eine solche hat der gute Mann aber auch nicht nötig, denn er kann in einem zufällig griffbereiten Katalog die Uhr zeigen, die er sich privat gekauft hat – für 114 000 Euro. Die Sorgen der TITANIC-Hausfrauen um den Finanzmarkt schwinden von Satz zu Satz merklich. Es ist zu spüren, dass rund um die Frankfurter Börse keine Panik herrscht, ja, sogar eine ausgelassene, sozialverträgliche Stimmung: "Kommt morgen wieder, da treffen sich auf dem Schillerplatz alle wichtigen Börsenleute und plaudern, und darunter mischen sich die Clochards – Superstimmung!"

Einen Vorgeschmack darauf gibt es, als ein zweiter, fein bezwirnter Herr (Galeria-Kaufhof-Beutel!) sich dazugesellt, ein Selfie macht ("Bitte ohne Notkoks!") und sein Buch anpreist, indem es – wenn die notorisch geldarmen TITANIC-Leutchen es richtig verstehen – darum geht, dass jeder Geld gebrauchen kann. Und haben sollte. Toll!

 

Die Mission der kleinen DAX-Aid-Gruppe scheint schon nach wenigen Minuten erfüllt. Auch ein als einer der besten Journalisten des Landes angekündigte FAZ-Mann, der kurz darauf auftaucht und das Hilfspaket begutachtet, ist sichtlich erfreut. Man könnte fast meinen, er hält das Ganze für einen Scherz.

Alle hier sind so gut versorgt, dass das Hilfspaket gar nicht erst angenommen wird, und die nun beruhigte Hilfstruppe sich auf ein schönes Nudelmahl mit Energy-Smoothie und einer Extraportion Koks freuen kann. Doch dann bricht doch noch Angst aus: Die Golduhr aus dem einzigen tatsächlich bestückten Paket ist verschwunden. Wie konnte das passieren? War das alles nur ein Trick, um armen Menschen mit weißen Westen Wertsachen zu rauben? Keiner kann glauben, dass hier so etwas geschehen kann. Doch zum Glück taucht die Uhr dann wieder auf – in der Hosentasche eines kleinen Mannes aus der DAX-Aid-Gruppe. So sieht man mal wieder, wer im Kapitalismus das eigentliche Problem ist. Und so wurde wieder alles gut und richtig an einem Ort, wo es anscheinend nie wirklich schlimm werden kann: der Frankfurter Börse.  

 

Freitag, 13.3.2020. Der DAX ist heute mit drei Prozent plus gestartet. Da sage noch einer, Helfen hülfe nicht! Und was wird diese Erkenntnis erst für eine Superstimmung unter den Clochards heute sorgen. 

Tim Wolff

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt