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Putins Werk und Kyrills Beitrag
Der oft als Hassprediger und "Kalaschnikow Gottes" bezeichnete Zauselbart-Träger ist die geistliche Eminenz der russischen Kriegspropaganda.
Hätte Viktor Orbán nicht erst kürzlich verhindert, dass der Obermufti der Russisch-Orthodoxen-Kirche auf die EU-Sanktionsliste kommt, wären schärfere Maßnahmen gegen Moskau wohl an einem ungarischen Veto gescheitert. Wer ist der Mann, der aus seiner Nähe zum russischen Präsidenten und dessen Krieg keinen Hehl macht und den Abwurf von Streubomben gar als gelebte christliche Nächstenliebe lobt? Im TITANIC-Interview spricht Patriarch Kyrill, der eigentlich "Wladimir Heinz-Peter Gundjajew" heißt, über seine Vorliebe für Schweizer Luxusuhren, die Auswirkungen eines möglichen Gottesurteils gegen Putin und verrät uns, welches spitzfindige und schwer zu entdeckende Detail ihn von historischen Spinnern wie Iwan dem Schrecklichen unterscheidet.
TITANIC: Eure Geistlichkeit, vor Ihrer Priesterweihe waren Sie lange aktiver Agent des KGB. In den 90er Jahren haben Sie dann als "Tabak-Metropolit" für Schlagzeilen gesorgt, als die Orthodoxe Kirche massenweise Zigaretten nach Russland importierte und Sie Milliarden mit dem Verkauf von Kippen scheffelten. Disqualifiziert Sie eine solche Vorgeschichte nicht für ein derart wichtiges und würdevolles Amt?
KYRILL: Ich muss doch sehr bitten! Beim KGB habe ich alles, was ich zum Abnehmen der Beichte an Verhör- und Foltertechniken brauchte, von der Pike auf gelernt. Und was die Fluppen betrifft: Den Russen dabei zu helfen, sich beim Wodkasaufen nicht mehr die Leber zu ruinieren und stattdessen Kette zu rauchen, betrachte ich auch noch nach einigen Jahren Abstand immer noch als Dienst am Menschen. Dass das undankbare Pack einfach beides tut, konnte ich damals ja nicht wissen.
TITANIC: Schon zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie als Außenbeauftragter der russischen Kirche die 'postmoderne Beliebigkeit' der westlichen Welt angeprangert, der Sie 'verteufelte Sterbehilfe und Abtreibungen' vorwarfen. Was genau missfällt Ihnen denn daran?
KYRILL: Wissen Sie, aus meiner Vergangenheit beim Auslandsgeheimdienst ist mir aktive Sterbehilfe durchaus nicht fremd. Für Menschen, die wegen der dauernden Beschäftigung mit Meinungsfreiheit und demokratischen Grundrechten in ihrem Leben plötzlich keinen Sinn mehr sehen, kann ein Spritzerchen Nowitschok tatsächlich sehr befreiend wirken. Und da Sie gerade Schwangerschaftsabbrüche ansprechen, frage ich Sie: In welchem Russland würden wir heute leben, wenn unsere Mütter Putin, Lawrow und mich abgetrieben hätten, anstatt herzensgute Menschen aus uns zu machen?
TITANIC: Darauf möchten wir aus gesundheitlichen Gründen lieber nicht antworten. Themawechsel: Gerade mal ein Prozent der russischen Bevölkerung hält Sie nach jüngsten Umfragen für eine moralisch relevante Instanz. Damit liegen Sie sogar noch hinter Ölmagnaten, Nachtclubbesitzern und Mafiapaten. Vermutlich hätte selbst Iwan der Schreckliche heute bessere Werte als Sie. Ist das nicht vernichtend für ein Kirchenoberhaupt?
KYRILL: Klar, so wie Sie das sagen, hört sich das natürlich blöd an. Man kann es aber auch anders ausdrücken. Neunundneunzig Prozent der Russen finden, dass ich ein absolute Koryphäe in Sachen Unmoral bin. Das soll mir erst mal einer nachmachen.
TITANIC: Auf einem offiziellen Foto ließen Sie einmal Ihre 100.000 Dollar teure Schweizer Luxusuhr wegretuschieren. Die Grafiker hatten aber vergessen, auch das Spiegelbild des Zeitmessers auf der glatten Tischplatte zu entfernen, so dass Ihre Schwäche für schnöden Mammon allseits bekannt wurde. Das muss Ihnen doch ziemlich peinlich gewesen sein…
KYRILL: Peinlich? Ich habe die 'Audemars Piquet aus 18 karätigem Roségold-Gehäuse und Platin-Zifferblatt' damals von einem Mann übernommen, der die Last des Reichtums an seinem Handgelenk nicht mehr ertragen konnte und mir aus denselben Gründen übrigens auch noch seine Yacht, seine Moskauer Penthouse-Wohnung und den Ferrari-Fuhrpark aufgebürdet hat, bevor er sich dauerhaft in ein sibirisches Gulag verabschiedete. Für mich ist dieser widerliche Reichtum ein wenig so, als würde ich 24/7 das Kreuz Jesu nach Golgatha tragen. Boah, schwer! (stöhnt)
TITANIC: Anlässlich Mariä Verkündigung am 25.März entlassen Sie vor Ihrer Amtskirche immer persönlich ein paar Friedenstauben in den Moskauer Dunsthimmel. Dieses Jahr sind sie zum ersten Mal nicht in den Schlag zurückgekommen. Was ist aus den Vögeln geworden?
KYRILL: Sie sind am Kreml vorbeigeflogen, wo gerade eine kleine Militärparade abgehalten wurde. Genosse Putin konnte da einfach nicht widerstehen, der alte Schlawiner. Es hätten aber nicht gleich Boden-Luft-Raketen sein müssen.
TITANIC: In einem Interview haben Sie behauptet, eine Invasion der Ukraine sei schon deswegen nötig, damit dort keine Schwulenparaden abgehalten werden können. Mal ganz davon abgesehen, dass wir nicht nachvollziehen können, was Sie Daran stört. Ist das als Kriegsgrund nicht etwas übertrieben?
KYRILL: Das Problem ist, dass sich solche Dinge immer in Wellenbewegungen auszubreiten pflegen. Alles fängt mit einem quietschbunten Umzug durch die Kiewer Innenstadt an und bevor man sich versieht, schaut der russische Präsident jeden Abend 'Brokeback Mountain' auf DVD, unser Außenminister empfängt Elton John und der Don Kosaken-Chor tanzt auf dem Roten Platz zu YMCA.
TITANIC: Donnerwetter! Sie kennen sich aber verdächtig gut aus.
KYRILL: (errötet und rutscht nervös auf dem Stuhl herum): Nächste Frage, bitte.
TITANIC: Okay. Sie haben Wladimir Putin in einem Schreiben "starke Gesundheit, Seelenfrieden und reiche Hilfe des Herrn in seinem hohen und verantwortungsvollen Dienst am russischen Volk" gewünscht. Und wenn Ihren angeblich gesalbten Präsidenten nun trotzdem "der Blitz beim Scheißen trifft" - würden Sie das als Gottesurteil gegen einen Diktator und Kriegstreiber anerkennen?
KYRILL: Soviel ich weiß, kackt der Präsident aus Angst vor Gottesurteilen ausschließlich zu Hause in einem blitzsicheren "faradayschen Käfig". Deswegen schaut er bei offiziellen Auftritten außerhalb des Kremls ja auch immer so verdrießlich. Sollte der Zorn des Schöpfers ihn aber mit hochgezogener Hose ereilen, würde ich das tatsächlich als himmlisches Zeichen deuten.
TITANIC: Aha. Für was denn?
KYRILL: Dass ich auch die politische Macht an mich reißen und Ayatollah von Moskau werden soll.
TITANIC: Sie spinnen doch. Na dann, vielen Dank für das Gespräch.
KYRILL: Gerne. Stange Marlboro, mein Sohn?
Patric Hemgesberg