Humorkritik | Juli 2018

Juli 2018

Ich glaube nicht, dass es Kunst sein kann, wenn Verachtung das Mittel ist. Das gilt auch für Klamauk. Deutschsprachiger Humor war immer ein Mittel der Verächtlichmachung.
Marlene Streeruwitz

Mehr Fitze Fitze Fatze!

Selbstverständlich kann man wie Tim-André Elstner den »Versuch einer Einordnung der Kunstfigur Helge Schneider in eine ›dada-avantgardistische‹ Geisteshaltung« unternehmen, sich wie Sarah Müller den Kopf über »reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen« zerbröseln oder in Schneider einen »Kyniker« sehen und sich auf den vernünftigsten Jürgen aller Zeiten, den Habermas, stützen, demzufolge der »Kyniker aus der Kommunikationsgemeinschaft der Vernünftigen aussteigt, indem er die sprachliche Verständigung mit den primitiven Mitteln analogischer Ausdrucksformen fortsetzt«. Ob das dann »eine unfreiwillig schöne Beschreibung von Schneiders Erzählkunst« ist, wie Peter Kemper in seinem in der Reclam-Reihe »100 Seiten« erschienenen Buchessay »Helge Schneider« meint, sei dahingestellt.

Freiwillig schöner ist Helge Schneiders Erzählkunst selbst, wenn er »Wullewupp Kartoffelsupp?« fragt, »hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter« reimt und »Fitze Fitze Fatze« singt: Da zeigt sich eine um tiefere Bedeutung unbesorgte kindliche Lust am Sprach- und Klangspiel, ein wildes Rumoren gegen den Ernst, die Vernunft und die Regeln des gutbürgerlichen Anstands und Benimms; in der Widerspenstigkeit liegt die Kraft, Selbstbehauptung ist das Ziel. Eingeladen in Harald Schmidts damalige Talkshow, antwortete Schneider auf die Frage »Hast du Haustiere?« zunächst brav: »Ja, ich mag Tiere sehr!«, um auf Schmidts onkelhaftes Nachhaken: »Welche? Hunde? Katzen?« sich der lästig werdenden Kommunikation zu verweigern: »Hund hab ich nicht, aber Katze. Aber ich habe auch andere Haustiere. Zum Beispiel Käse.«

Auch die Freude an ungebändigter Gewalt, wie sie in Schneiders Kriminalromanen tobt, hat ein Pendant in der kindlichen Lust an Zerstörung. Ob man aber den Schriftsteller und Musiker wirklich ganz auf den Begriff des rabiates Kind gebliebenen (oder gar gewordenen) Künstlers zurechtstutzen kann, soll hier mal offenbleiben. Peter Kemper tut es jedenfalls nicht. Letztlich lautet der einzige Begriff, auf den man Helge Schneider bringen kann, wohl Helge Schneider.

Das Beste, was einem dann noch zu tun bleibt, macht Kemper: den Lebensweg der »singenden Herrentorte« nachzeichnen und lustige Fundsachen zutagefördern wie den ärztlich diagnostizierten »Wandertrieb«, von dem der Schulschwänzer und Rumtreiber infiziert war; die Vorbilder kenntlich machen, so den Jazzer Thelonious Monk, den Rockmusiker Frank Zappa, den Clown Grock und den Ruhrgebietskomiker Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier; Schneiders Musik, Hörspiele, Filme, Romane, Shows usw. verständlich beschreiben und analysieren (das akademische Geschwurbel überlässt er dabei in der Regel, s.o., anderen Leuten); und am Ende mit »Improvisation« und »Freiheit« zwei Grundzüge seiner Kunst und Persönlichkeit benennen – die, so leicht gibt ein Mentz nicht auf!, auch Kindern eigen sind.

Unterbelichtet bleibt die politische und gesellschaftliche Seite von Schneiders Wirken – doch halt! Selbst ein Schneider vermag anscheinend nicht sein Leben lang anarchisch, subversiv und eigensinnig zu sein: Kemper sieht ihn zuletzt unterwegs zu einer »neuen Ernsthaftigkeit«, also erwachsen werden. Hoffentlich hat er unrecht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg