Humorkritik | März 2016

März 2016

»Das Lachen ist der Regenbogen, / der dunklem Grund des Sturmes entsteigt.«
Anastasius Grün

Martin Jürgens, legendär

Absichtliches Mißverstehen zählt zu den satirischen Grundprinzipen: Das Lösen von alten Zusammenhängen, das Knüpfen von neuen, das ergibt oft und gern Komik. Wenn sich ein Kunstwissenschaftler Pressefotos vornimmt, um ihrem manchmal banalen, manchmal schreiend obszönen Inhalt eine dichterische Neudeutung zu verpassen, dann läßt das große Fallhöhe und einen krachenden satirischen Aufprall vermuten.

»Frau Merkel sieht auf ihrem Schuh ein Streifenhörnchen, das sich putzt«: so heißt Martin Jürgens’ im Neofelis-Verlag erschienene Sammlung seiner »lyrischen Bildlegenden« aus der Zeitschrift Konkret. Der oben erwähnte Fallhöhenaufprall knallt hier aber meist sehr leise und subtil. Das hat meiner Ansicht nach zwei Gründe: Zum einen geht Jürgens nicht brutal auf die Pointe los, sondern umtanzt und umspielt sie lieber. Zum anderen dichtet er in freien Versen, fast immer reimlos – und Reime, man weiß es, sind sehr hilfreiche Sinn-Simulatoren, als formal strenge Auflösungen dem komischen Gehalt von (komisch intendierten) Gedichten sehr zuträglich. Da Jürgens auf diese Komikbeschleuniger weitgehend verzichtet, ist er auf sein Gefühl für Sprache und Rhythmik zurückgeworfen – auf das er sich allerdings sehr gut, fast blind verlassen kann.

Es sei gegeben: ein Foto von Ex-Ministerin Schavan. Lachend und weißgekleidet beugt sie den Rücken, um einem hinter ihr stehenden Kardinal als Schreibfläche für einen Autogrammwunsch zu dienen. »Vor Dir, Herr, neigt die Erde sich / Wie sie hier, ganz in Weiß / Es tut«, dichtet Jürgens; da gehen Kirchenlied und Schlager eine parodistische Allianz ein und feiern die weiße Unschuld. Doch gleich wird’s schlüpfrig: »Die Freude ihres Herrn / Kommt über sie von hinten«, in Gestalt eben des Kardinals, der »schreibt / mit seinem dicken Stift«. So »dient ein weltlich’ Weib / Der hohen Geistlichkeit, / Damit ein Beispiel sei«.

Damit ein zweites Beispiel sei: Ein Foto des Verteidigungsministers, der auf dem Kabuler Flughafen durch ein Spalier von Soldaten schreitet, Richtung Heimatflug. »Wer hat euch da so hingestellt / Ins schräge Gegenlicht von links, / Euch Zuhälter im Kampfanzug, / Euch Fotonutten, Hand am Rohr?« fragt Jürgens, stellt dem Propagandabild ein Foto gegenüber, auf dem der Sarg eines deutschen Soldaten in ein Flugzeug geladen wird, und vergleicht die beiden Heimkehrer: »Nach Hause er und er: / Vom einen wird getragen, / Was noch zu tragen ist. / Der andre schreitet noch, / Derweil geschossen wird. / Doch Bilder nur, / Nur Bilder.« Jürgens aber bedichtet nicht Bilder nur, sondern manchmal gar die Interpretation einer Bildinterpretation: So etwa, wenn Martin Walser in der Süddeutschen ein heroisches Foto des besiegten Bastian Schweinsteiger rühmt und sich dafür »der alte Schmock vom Bodensee« nennen lassen muß: »Die Schmach von Stalingrad, / Bis heute nicht getilgt: / In dieses Bild gebannt  / Minutenstiller Größe / Wird sie der Zukunft Unterpfand / Für uns und dieses unser Schland.« Über eine ausgelassene Merkel wundert sich Jürgens: »Dies Nurentzücktnurblitzendäugleinsein: / Wo nimmt sie das nur her? Wie gräbt / Sie das denn aus, aus diesem grauen, / Immer schiefen, schiefergrauen / Eisigen Geröll, in dem sie sich / In diesem hohen Amt bewegt, ganz / Kalt und stumpf und fahl in / Miene, Sprache und Gebärde?« Derweil, andernorts: »Zwei braungebrannte Scheiben Toast / Tun einen Hupf ins Kühle«.

Ich gebe zu: Zum Brüllen, zum Wiehern, zum Kaputtlachen ist das selten. Aber einen respektvollen Toast, den möchte ich sehr wohl ausbringen auf den komplex-ironischen Sprachfeinarbeiter Martin Jürgens. Nein: zwei Toasts! Zwei braungebrannte. So.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg